Hamburg. Bei der Premiere von „Morning“ am Jungen Schauspielhaus stehen nur junge Laiendarsteller auf der Bühne. Ein Wagnis – aber es geht auf.

Wenn Jugendliche Jugendliche töten scheint für eine Schock gelähmte Gesellschaft das größte Tabu gebrochen. Wie weit es bei einer derartigen Tat mit Reife und Bewusstsein ist und entsprechend mit strafrechtlicher Sanktionierung ist in der Gesellschaft höchst umstritten – wie das Echo auf einen entsetzlichen Fall der jüngsten Geschichte zeigt.

Der britische Autor Simon Stephens hat dieses Thema schon vor einigen Jahren in einem Stück verarbeitet. „Morning“, uraufgeführt 2012, handelt von einem kaltblütigen Mord eines Teenagers – aus Langeweile. Wenn man einem Theater zutraut, sich diesem beklemmenden Thema nähern zu können, dann dem Jungen Schauspielhaus.

Junges Schauspielhaus zeigt „Morning“ und geht ein Wagnis ein

Dort hat Regisseur Adrian Figueroa „Morning“ zur Premiere gebracht. Das Besondere daran – in der Produktion der Reihe SchauSpielRaum stehen ausschließlich junge Laiendarstellerinnen und -darsteller auf der Großen Bühne am Wiesendamm. Ein Wagnis – aber es geht auf.

Die Bühne von Irina Schicketanz ist eine einzige schwarze Leere. Ein Hohlraum der Sinnlosigkeit. Bis auf einen gigantischen Felsstein, der sich ab und an bedrohlich von der Decke hebt und senkt. Der erste Auftritt gehört Jess. Naomi Michaela Douo wird sich mit Anna, Vanessa Nguyen, befreunden. Zwei junge Menschen bei denen man eine Zugewandtheit spürt. In den ersten Momenten aber nimmt Jess nur Deprimiertheit wahr.

Manipulativ, aufbrausend und beängstigend empathielos

Cat (Leon Ndiaye) ist ein enger Freund von Stephanie (Alissa Lazar). Während Cat die öde, aber gutbürgerliche Kleinstadt – in der alle angesagte Klamotten tragen – verlassen wird, um ein Studium aufzunehmen, wird sie mit all ihrem Frust zurückbleiben.

Alissa Lazar zeigt Stephanie glaubhaft in all ihrer Widersprüchlichkeit. Mal malt sie zurückgezogen still vor sich hin, dann wieder verhält sie sich manipulativ, aufbrausend und beängstigend empathielos. Es gibt dafür nicht wirklich eine Erklärung außer ihrer jugendlichen Verlorenheit. Und einer ungeahnten eigenen Wirkmacht, die von der Außenwelt nicht wahrgenommen wird.

Am Ende liegt da ein Toter und daneben ein großer Stein

Der Vater glänzt durch Abwesenheit. Die Mutter liegt vom Krebs gezeichnet im Sterben. Das Handy ihres Bruders Alex (Milan Lutter) schenkt sie Cat zum Abschied als wäre es das natürlichste von der Welt. Stephanie hat einen Freund. Stephen, gespielt von Kevin Citozi, scheint ernsthafte Gefühle zu hegen, will sie aufheitern, aber sie hält ihn genervt auf Abstand. Es kommt zu einem fatalen Treffen von Stephanie, Stephen und Cat. Am Ende liegt da ein Toter und daneben ein großer Stein.

Es ist zutiefst verstörend, wie Stephanie nach dieser ultimativen Grenzüberschreitung in ihr Leben zurückkehrt als sei nichts geschehen. Da ist keinerlei Unrechtsbewusstsein, kein Schuldgefühl. Die Atmosphäre der Inszenierung wird noch ein wenig trostloser mit Sprühregen und metallischen Klängen. Das jugendliche Stürmen und Drängen, das sich auch in einigen Lauf- und Tanzszenen auf der Drehbühne äußert, es findet kein rechtes Ventil.

Eine Tat, die jederzeit überall möglich ist

Gleichzeitig ist klar, dass wir es hier mit einem ganz gewöhnlichen Teenager zu tun haben, wenn auch in einer familiären Extremsituation, aber das zieht in der Regel keinen Mord nach sich. Das wirklich Erschreckende ist, dass Simon Stephens eine Tat zeigt, die jederzeit überall möglich ist. Man ahnt, wie intensiv die Probenarbeit mit diesem jungen, erstaunlich sicher agierenden Ensemble gewesen sein muss. Ein bedrückender, gleichwohl sehenswerter Abend – für alle ab 15 Jahren.

„Morning“ weitere Vorstellungen 5.5., 7.5., 2.6., 3.6., 14.6., jew. 19 Uhr, Junges Schauspielhaus, Große Bühne Wiesendamm, Wiesendamm 28, ab 15 Jahren, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de