Hamburg. „Ringel, Rangel, Rosen“ im Ohnsorg-Studio nach dem Roman von Kirsten Boie: stark gespielt und inszeniert. Ein Stück, das Fragen stellt.
„Hier ist das Paradies!“ Ja, tatsächlich ist Karins Kindheit paradiesisch, im Wilhelmsburg des Jahres 1961. Katharina Philipps Ausstattung für „Ringel, Rangel, Rosen – Vörbi is man nich vörbi“ in der Studiobühne des Ohnsorg-Theaters deutet mit Campingstühlen und kleinem Tisch zwar das ärmliche Umfeld an, doch ein riesiger Prospekt im Hintergrund verweist auf die Naturidylle, als die die 13-Jährige ihr Leben wahrnimmt: Bäume, Wiesen, Pfau, Fuchs und Äffchen vor wimmelndem Grün.
Kirsten Boies Jugendroman „Vorbei ist eben nicht vorbei“ erzählt konsequent aus der Sicht der Jugendlichen Karin (Sofie Junker): Zunächst erlebt sie einen unbeschwerten Sommer, Nachmittage mit ihrer (etwas reiferen) Freundin Regina (Tanja Bahmani), Fernsehen mit den Eltern, Schwimmen in der Dove Elbe.
Ohnsorg-Theater bringt Kirsten Boies Jugendroman mitreißend auf die Bühne
Bis dann im Februar des Folgejahres die Sturmflut über Hamburg hereinbricht und Karins Welt umschmeißt – nicht nur in dem Sinne, dass die Geborgenheit des Wilhelmsburger Behelfsheims verschwindet, auch hinterfragt Karin zunehmend das Verhalten ihrer Eltern zur Zeit des Nationalsozialismus. „Wi hep do nix von wusst“: Dass die Mutter tatsächlich nicht gefragt habe, was aus ihren jüdischen Mitschülern geworden sei, kann der Teenager irgendwann nicht mehr glauben.
Kathrin Mayr, die in Hamburg bislang vor allem am Monsun Theater inszenierte, bringt als ihre erste Arbeit am Ohnsorg Boies Prosatext in einer Bühnenfassung von Anke Kell auf die Studiobühne. Immer wieder wendet sich Junker als Karin direkt ans Publikum und macht so die Zuschauer zu Komplizen innerhalb der Geschichte. Komplizen, die die seelische Entwicklung des Mädchens miterleben.
Wenn Karin in der „Tagesschau“ vom Jerusalemer Eichmann-Prozess hört und fragt, was der SS-Mann denn eigentlich verbrochen habe, dann läuft auch das Publikum Gefahr, das Abwiegeln der Mutter (Vivien Mahler) dankbar anzunehmen. Und ahnt dennoch, dass „Die Politik hat uns immer nur Unglück gebracht“ nicht wirklich eine Antwort auf die eigenen Zweifel ist.
Ohnsorg-Ensemble macht Mundart auch Platt-unkundigen Zuschauern verständlich
Die große Qualität der Inszenierung ist, dass sie den uneindeutigen Charakter von Boies Vorlage nicht platt konkretisiert. War der Vater, den Jochen Klüßendorf als weichen Sympathieträger in Strickweste und Cordhose gibt, war dieser nette Typ womöglich doch an der Erschießung von Partisanen im Zweiten Weltkrieg beteiligt?
Karin zweifelt, aber sie hofft: Vielleicht konnte der Vater nicht anders? Vielleicht war er einfach nur feige? Hauptsache, er war kein Verbrecher! Und wir hoffen mit.
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Mayrs Ohnsorg-Debüt erweist sich so als starkes Jugendstück mit einem grundsympathischen, genau geführten Ensemble. Einem Ensemble, das mit Spielfreude und konzentrierter Darstellung auch Platt-unkundigen Zuschauern die (sparsam eingesetzten) Mundart-Passagen verständlich macht.
„Ringel, Rangel, Rosen – Vörbi is man nicht vörbi“ wieder am 13., 15., 21., 21., 22., 23., 27., 28. April, 19 Uhr, auch Schulvorstellungen, Ohnsorg-Studio, www.ohnsorg.de