Hamburg. Am St. Pauli Theater feierte der Brecht-Klassiker mit Musik von Kurt Weill Premiere. Ensemble und Inszenierung begeisterten.

Alle sind sie wieder da: Die lasziven Sexarbeiterinnen, die frechen Gauner und die sich gegen die unwirtliche Welt behauptenden Bettler, die „Platte“ machen. Am St. Pauli Theater setzen ihnen die Regisseure Peter Jordan und Leonhard Koppelmann mit der „Dreigroschenoper“ ein beschwingtes Denkmal. Das Theaterstück mit Musik – die Uraufführung ging 1928 in Berlin über die Bühne – ist mit seiner Kapitalismus-Anklage weiterhin aktuell. Da muss man auf der Reeperbahn nicht weit schauen .

Im St. Pauli Theater allerdings sieht die Unterwelt so verdammt gut und elegant aus (Kostüme: Barbara Aigner), dass ihre Nöte gar nicht mehr so weit weg scheinen von einer von Abstiegssorgen geplagten bürgerlichen Existenz. Ausgedacht hat sich „Die Dreigroschenoper“ einst Bertolt Brecht – wobei seine Partnerin Elisabeth Hauptmann ursprünglich John Gays „The Beggar’s Opera“ ins Deutsche übertragen hat.

St. Pauli Theater: „Dreigroschenoper“ hat das Zeug zum Kiez-Dauerbrenner

Dank der genüsslich vorbeischnurrenden ewigen Gassenhauer des Komponisten Kurt Weill von „Der Kanonensong“ bis zum „Anstatt-Dass-Song“ wird das Musiktheater über die Verlorenen und Verdorbenen leicht verdaulich präsentiert. Sie geben einem wunderbaren Ensemble jede Menge Gelegenheit, spielerisch und stimmlich zu glänzen.

Das für komödiantische Abende berüchtigte Duo aus dem als Schauspieler bekannten Peter Jordan („Babylon Berlin“) und seinem Kompagnon Leonhard Koppelmann setzt in seiner Inszenierung vor allem auf Broadway-Glamour, viel Glitzer und hohes Tempo, aber auch auf Ironie. Das Ergebnis ist ein sehr dichter, fluffig-unterhaltsamer Abend, auch wenn hier und da zu viel künstliche Emphase auf den Texten liegt. Die Bühne ist bis auf wechselnde Videoprojektionen (grafische Animation: Meike Fehre), ein paar in Stummfilm-Manier eingeblendete Textzeilen und eine ab und zu vorbeigeschobene Straßenlaterne leer.

Brecht-Klassiker mit Musik von Kurt Weill Premiere feiert am St. Pauli Theater Premiere

In diesem finsteren Teil von London geht der Bettlerclan-Chef Peachum seinem Gewerbe nach. Gustav Peter Wöhler gibt ihn mit bleich geschminktem Gesicht, tänzelndem Gang und aasigem Grinsen. Vor allem aber kann er hier gleich im „Morgenchoral des Peachum“ seine Musikalität ausleben.

Stephan Schad wird, nachdem ihm beim Leierkasten erst mal die Kurbel abgebrochen ist, als einer von vielen Profi-Bettlern verpflichtet, die Peachum ein einträgliches Dasein bescheren. Wenn der Gauner Macheath, genannt Mackie Messer, nicht wäre, der nun ausgerechnet ein Auge auf Peachums Tochter Polly geworfen hat. Da kann dann die herausragende Anne Weber als Peachums Gattin Celia, ihren eigenen Erfahrungsschatz reflektierend, nur abgeklärt „Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ anstimmen.

Macheath (Michael Rotschopf) ist ein Gamaschen und Glacé-Handschuhe tragender Dandy, der mit rosafarbenem Hut durch die Unterwelt stolziert, in der ihm ohnehin alle zu Füßen liegen – die Prostituierten, die Polizei und die Diebe sowieso. Rotschopf gibt Macheath ein hinreißendes Clark-Gable-Grinsen unterm Menjou-Bärtchen, bleibt aber ein wohltuend zurückgenommener Verführer.

Im Pferdestall heiratet er erst einmal die von Anneke Schwabe etwas zu schrill gegebene Polly. Später wird sich herausstellen, dass er sich in einer anderen Zeremonie längst mit Lucy, der Tochter des wiederum von Stephan Schad gespielten obersten Londoner Polizeichefs Brown, verbunden hat.

Und wieder gilt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“

Die selbstbehauptend aufspielende Victoria Fleer liefert sich als Lucy daraufhin eine derbe, sogar handgreifliche Zickerei mit Polly. Aber dann ist da ja noch Mac­heaths alte Geliebte Spelunken-Jenny. Nadja Petri gibt sie lasziv, mit kühlem Geist und tollem Alt-Gesang. Ihr Verrat wird Macheath am Ende hinter Gitter bringen, woraus ihn in einer sehr plötzlichen Wendung dann nur noch ein königlicher Bote begnadigen kann. Naturgemäß serviert Brecht seine Botschaft der Geschichte. Und die lautet nun mal „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“.

Die Bettler-Oper ist trotz all der gezeigten Härten des Lebens höchst vergnüglich anzuschauen. Wegen des grandios aufspielenden Duos Wöhler und Rotschopf, wegen der vielen wundervollen weiblichen Stimmen. Und wegen eines Ensembles, das sich mit Verve in Choreografien (Harald Kratochwil) von Steptanz bis zu Voguing wirft. Nicht zu vergessen, die mit Inbrunst zwischen Jahrmarkts-Musik und Jazz balancierende, auf Orchestergraben und Seitenbühnen verteilte Band unter der musikalischen Leitung von Uwe Granitza.

Die intime Bühne des St. Pauli Theaters erweist sich als der richtige Ort für das Spektakel. Irgendwo glitzert hier immer etwas, ist immer etwas los. Und das ja nicht zum ersten Mal. Der zeitliche Abstand zur Inszenierung von Hausherr Ulrich Waller aus dem Jahre 2004 (unter anderem mit Ulrich Tukur) tut der Sache gut. Diese Neufassung offenbart eine angenehm diverse Besetzung und man hat es hier mit Figuren zu tun, die in ihrem Ringen um Würde der Krise trotzen. Das ist dann doch ziemlich dicht an unserer Gegenwart. Keine Frage: Diese „Dreigroschenoper“ hat das Zeug zum Kiez-Dauerbrenner.

„Die Dreigroschenoper“ weitere Vorstellungen bis 26.2., jew. 19.30 Uhr, So jew. 18 Uhr, 23.5. bis 10.6., jew. 19.30 Uhr, St. Pauli Theater, Karten: www.st-pauli-theater.de