Hamburg. Der Schauspieler gastiert mit dem Joseph-Conrad-Abend „Apokalypse“ im St. Pauli Theater. Eine stimmungsvolle Inszenierung mit Ravioli.

Man kann über Ben Becker unterschiedlicher Meinung sein. Über Becker als Schauspieler, über Becker als Promi. Was aber außer Frage steht: Der Mann hat eine beeindruckende Stimme. Sonor, kehlig, ein bisschen müde. Ben Becker, das ist ein Märchenerzähler, der weiß, dass das Erzählte wenig Märchenhaftes hat, und der ein wenig stolz über dieses Wissen ist, ein wenig eitel auch.

Es ist ein Genuss, ihm beim Vorlesen zuzuhören, auch jetzt, bei „Apokalypse“, einer Lesung aus Joseph Conrads 1899 erschienener Erzählung „Herz der Finsternis“, an drei ausverkauften Abenden im St. Pauli Theater.

Ben Beckers Lesungen in Hamburg sind ausverkauft

Mit vergleichbaren Veranstaltungen ist Becker seit längerem erfolgreich: Lesungen aus möglichst unterschiedlichen literarischen Vorlagen. Es gibt Leseprogramme zur Bibel, zu Pasolini, zu Döblin. Und jetzt eben auch zu Conrad, zur Geschichte des Hasardeurs Marlowe, der auf einem schrottreifen Flussdampfer immer tiefer ins koloniale Afrika vordringt, auf der Suche nach einem mythisch entrückten Kolonialbeamten, und der dabei die Abgründe des eigenen Bewusstseins durchquert. Ein Alptraum aus Hitze, Schuld, Drogen und Gewalt.

Bei Becker wird der Abend freilich keine klassische Lesung, sondern eher eine Performance. Der Schauspieler ist zu sehr Rampensau, als dass er brav hinter Mikrofon und Wasserglas Conrads Text deklamieren würde, er ist aber auch zu sehr Profi, als dass er seine Bühnenpräsenz über Gebühr ausreizen würde.

Ben Becker setzt effektvoll auf Ravioli-Requisite

Meist reichert er die Vorlage also mit minimalistischen Aktionen an, die wirkungsvoll sind, aber nicht übertrieben. Zum Beispiel die Bühne: ein Schreibtisch, vollgestellt mit nötigem und unnötigem Kram, der per Live-Kamera auf eine Leinwand übertragen wird, ein Comicheft, eine Schallplatte, ein Still aus dem antifaschistischen Film „Viva La Muerte“. Und Becker? Schlendert an dem Tisch vorbei, schaut erstmal. Und macht sich dann eine Dose Ravioli auf. Nicht mehr.

Das ist ein klug gebauter Einstieg, weil in dieser beiläufigen Handlung schon all der Weltüberdruss und die Selbstverachtung stecken, die Conrads Protagonist Marlowe ausmachen. Becker muss die kalten Ravioli gar nicht essen, es reicht schon, dass man ihm jede Minute zutraut, sich einen Löffel der Pampe in den Mund zu schieben.

Eine Anklage gegen den Kolonialismus

Dass „Herz der Finsternis“ darüber hinaus auch als ernst gemeinte Anklage gegen das europäische Kolonialregime funktioniert, braucht da gar nicht mehr ausgeführt zu werden, man ist mit einem Schlag im Kopf Marlowes und hat verstanden: Diese Welt zerstört Menschen. „Es ging um Ausbeutung, es ging um Profit“, nuschelt Becker seine Analyse der politisch-wirtschaftlichen Zusammenhänge in den Saal, und jeder weiß, was er meint.

Konsequent erzählt Becker aus Marlowes Perspektive und schlüpft immer nur kurz in die Rollen von Nebenfiguren: Ein serviler Buchhalter taucht da auf, oder ein verwahrloster Stationsleiter, markiert durch minimale Veränderungen der Stimmfarbe oder ein beiläufiges Verstrubbeln des spärlichen Haupthaars. Und so geht es immer tiefer in die Hitze, in die Formlosigkeit.

Ein stimmungsvoll, bedrückendes Finale

Irgendwann zieht der Schauspieler das Sakko aus und präsentiert seinen massigen, über und über tätowierten Körper, da spürt man, wie langsam alles zerfällt, wie der Dampfer sich dem Herz der Finsternis nähert – und dass die S-Bahn unter dem St. Pauli Theater das Gebäude regelmäßig vibrieren lässt, ist der bedrückenden Stimmung ebenso zuträglich wie der sparsame, suggestive Musikeinsatz.

Premiere in Hamburg und ein Geburtstagsständchen

Ein Wermutstropfen: Am Hamburger Premierenabend feierte Becker seinen 58. Geburtstag, und dass kurz nach diesem düsteren Durchwaten menschlicher Abgründe eine Fanfare ertönte und der Saal geschlossen „Happy Birthday!“ sang, das holte einen ziemlich unsanft aus dem zuvor kunstvoll erzeugten Joseph-Conrad-Gefühl. „Jeder Mensch hat seinen Zerreißpunkt …“, hatte Becker zu Beginn gemurmelt, „Die Wildnis kennt ihn.“

Und dann folgte das Geburtstags-Tschingderassabumm. Man kann über Becker unterschiedlicher Meinung sein, man kann ihn auch unerträglich finden – zum Beispiel, wenn der Promi den tatsächlich beeindruckenden Künstler in den Hintergrund drängt und so ein berührender, dunkler Theater-Literatur-Abend im rhythmischen Klatschen untergeht.

„Apokalypse – Herz der Finsternis“, bis 21. 12., St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30, ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse