Der Sechsteiler „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ erzählt vom braunen Morast der 50er Jahre. Ein glänzender historischer Thriller!

Der Krieg ist nicht lange her, das zeigt die Rückblende, die dem Geschehen vorangestellt ist. Ein Überläufer in der Silvesternacht 1944, er hätte im besseren Fall nur noch ein paar Monate aushalten müssen, wird von seinen Kameraden erschossen.

Knapp ein Jahrzehnt später feiert eine junge deutsche Frau den Jahreswechsel als Au Pair in London: Damit setzt die Handlung dann richtig ein. Toni Schmidt (Mercedes Müller) wird in ihre rheinische Heimat zurückkehren und dort, fernab der moralisch einwandfreien Realität englischer Nazi-Besieger, unvermutet durch den blutigen teutonischen Vergangenheitssumpf stapfen – als Fremdsprachensekretärin bei der später berühmt-berüchtigten „Operation Gehlen“.

„Bonn": Fulminanter ARD-Sechsteiler über Nazi-Agenten

Um Geheimdienste, ihre Entstehung und Konkurrenz geht es in dem über weite Strecken fulminanten ARD-Sechsteiler „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“, der ab 11. Januar in der Mediathek abrufbar ist und mit dem das Öffentlich-Rechte einmal mehr den Versuch unternimmt, gutes Serienfernsehen zu machen. Hier mit der etablierten Krimi-Regisseurin und Hauptautorin Claudia Garde („Tatort“), die das Gerangel der Dienste opulent inszeniert.

Es ging um nichts weniger als die Beanspruchung der Kompetenz, Deutschlands neuen Platz in der Welt und seinen Umgang mit der Vergangenheit zu definieren. Den einen war es todernst mit der Entnazifizierung, den anderen kamen die Exnazis als Helfer für die Wieder-Erlangung von deutscher Größe gerade recht. Das Glück der letzteren: Die Alliierten, der CIA und die Bundesregierung bemühten sich nach Kräften, Kriegsverbrecher vor Strafverfolgung zu schützen.

Im Rheinland feiern sie in den Fünfzigern wieder fröhlich Karneval

Also, eine Art Geschichtsstunde, die in den besten Momenten zu großem Geschichtskino wird und in den matteren zum Melodrama vor historischer Kulisse. „Bonn“ ist ein am Rhein angesiedelter Kostümfilm – Hüte überall! – aus den Fünfzigern (Kostümbild: Petra Kray), in dem durchaus auch ein paar Gemütlichdeutsche ihren Auftritt haben, aber hinter ihnen klafft noch der Abgrund, der Krater, den die Nazis in die Welt gesprengt hatten. Eigentlich konnte auf dem nix mehr gedeihen.

Aber in den Fünfzigern feiern sie im Rheinland schon wieder fröhlich Karneval. Dort schwingt Gerd Schmidt (Juergen Maurer), ein ehemaliger Wehrmachtssoldat, was sonst, absolut unlustige Reden. Aber die Jecken recken zum Alaaf begeistert ihre Arme gen Bühne, und dass man zehn Jahre vorher auf kolossal ähnliche Weise den Führer grüßte, ist der böse Eindruck, den diese Szene unbedingt bei den Betrachtern hinterlassen soll. Die Heldin Toni, sie ist die Tochter des Karnevalisten und Bauunternehmers Schmidt, stützt anschließend ihre Schwester, die betrunken über das Geländer kotzt: „Mir ist schlecht, Toni.“

ARD-Serie: Ex-Nazis an den Schalthebeln der Macht

Im Keller des Karnevalsvereins treten die Jecken vor Tonis Augen einen angeblichen „Kommunisten“ zusammen. Was Toni, die in England für die deutsche Schande sensibilisiert wurde, nach und nach immer deutlicher versteht, ist: Zuhause in Deutschland herrscht eine ungute Kontinuität, was weltanschauliche Dinge angeht. Im Verlaufe der Handlung muss sie gewahren, dass ihr schneidiger Vater („Ein Deserteur ist einfach einer, der seine Kameraden im stich lässt“) weiter hochtourig mit der alten Garde Umgang pflegt.

Die saß in der jungen Bundesrepublik an den Schalthebeln der Macht. Männer wie Kanzleramtsminister Hans Globke, der einer der Autoren der Nürnberger Rassegesetze war, und Reinhard Gehlen, einst General bei der Wehrmacht und Feindaufklärer auf Hitlers Russlandfeldzug. In „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ treten nicht nur diese beiden Personen der Zeitgeschichte auf, sondern auch Otto John, einer der gescheiterten Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944. Gehlen und John werden in dieser Mini-Serie im Jahr 1954 die Antagonisten eines frühen Endspiels um die deutsche Vergangenheitsbewältigung – als Chefs zweier deutscher Geheimdienste, die ihren Platz noch finden mussten. In ihrem Duell verdichtet sich das Ringen des besseren Deutschlands mit dem zynischen.

Der Feind stand immer noch im Osten

Der Feind stand nach dem Krieg für Deutschland und die Alliierten im Osten. Deshalb bekam der spätere erste Chef des Bundesnachrichtendienstes Gehlen freie Hand bei seinen Plänen. Martin Wuttke verkörpert ihn angemessen dämonisch als zielstrebigen Agenten-Dompteur, der instinktsicher die Seiten wechselte und braunes Gedankengut für nichts hielte, was jemand ernsthaft „ausmerzen“ müsste. Der Film-Gehlen hat nicht nur das Adenauer-Porträt, sondern auch einen Geldtresor im Büro. Er hält Widerstandskämpfer für „Verräter und Versager“, geht am 20. April heimlich auf Gedenkmärsche und kann sich darauf verlassen, dass seine Handlanger wissen, was zu tun ist, wenn ihnen jemand Zyankali in die Zelle schmuggelt.

Sein Counterpart ist der Chef des Verfassungsschutzes, Otto John. Er wird in nicht zu leugnender Skrupellosigkeit, aber auch immerwährender Deutschland-Verzweiflung fantastisch von Sebastian Blomberg dargestellt. Mit dem von seiner Jagd auf den Holocaust-Manager Alois Brunner geradezu besessenen Wolfgang Berns (Max Riemelt) ist John („Es gibt zu viele Kameraden an den entscheidenden Stellen, die zu verhindern wissen, dass ihresgleichen geschnappt wird, ihre Interpretation von Entnazifizierung ist: gute Freunde werden ins Ausland geschafft“) einer Geheimunternehmung Gehlens auf der Spur. Einem nationalistischen, bis an die Zähne bewaffneten Geheimbund, wie John vermutet; einer Kriminellen-Clique. Er wird eines Besseren belehrt werden.

"Bonn": Eine Mischung aus Agententhriller und Familiendrama

Die junge Toni Schmidt ist die Identifikationsfigur dieses Viereinhalb-Stunden-Films in sechs Teilen. Der ist eine Mischung aus Agententhriller und Familiendrama. Es gibt ein Geheimnis um ihren nicht aus dem Krieg heimgekehrten Bruder, eine gar nicht geheime Liebe der Mutter (Katharina Marie Schubert) zu einem Juden und Tonis Beziehung mit ihrem Verlobten Hardy (Julius Feldmeier), die unter der Emanzipation der jungen Frau leidet. Toni findet heraus, dass ihr Vater Waffen für den alten Freund Gehlen durch sein Unternehmen schleust.

Sie bespitzelt fortan für Otto John dessen Gegenspieler Gehlen. Der Spannungsplot ist knallig und funktioniert hervorragend, egal, ob Agent Berns auf die Nazi-Burg fährt, um das Böse zu infiltrieren, oder ob John und Gehlen bei Innenminister Gerhard Schröder (Christian Erdmann) aufeinandertreffen. Die giftigen Wortgefechte am Konferenztisch sind top!

Das gilt längst nicht für alle Dialoge. Deutsches Fernsehschaffen krankt so oft am indiskutablen Ausdruck, am verbalen Zu-viel-Hineinlegen in zu kleine Szenen. Das ist hier nicht anders; manches ist zu gedrängt, ein Sechs- halt kein Zehnteiler. Manchen Figuren fehlt so notwendigerweise die Tiefe. Aber wenn man wohlwollend ist, kann man das Pathos-Geschwätz von Über-Kamerad Schmidt, der übrigens auch den Begriff „Judensau“ im Vokabular bereithält, als absolut typisch für die Zeit betrachten. Kriegsheimkehrer sind für Schmidt „keine Menschen mehr, gebrochene Kreaturen, ohne Rückgrat, ohne Lebensmut, der Russe hat sie kaputt gemacht“.

"Bonn": Serie mischt großartig Fakten mit Fiktion

In Deutschland stand man auch nach 1945 noch eine Weile knietief im Morast. Davon erzählt diese historische Serie, die Fiktion und Fakten mischt, mitunter großartig. Der anpassungsfähige Gehlen hatte bedauerlicherweise nie ein schlechtes Blatt. Aber das eigentliche Drama des Otto John begann erst nach den Ereignissen, die in „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ dargestellt werden. Die Serie endet mit Johns Abreise nach Ostberlin. Der echte John hielt sich fast anderthalb Jahre unter dubiosen Umständen in der Hauptstadt der DDR auf, um über die Wiedervereinigung zu verhandeln. In der Bundesrepublik machte man ihm anschließend wegen angeblichen Landesverrats den Prozess. Beinah Stoff für eine weitere historische Serie.