Hamburg. Der Film verwebt die Schicksale zweier Frauen auf bezaubernde Weise miteinander.

Es sind Schlaflose. Verletzte. Verlorene. Oder Einsame, die sonst niemanden zum Reden haben. Das jedenfalls sind die „Passagiere der Nacht“, die sich allnächtlich in der gleichnamigen Radiosendung melden, um mit der Moderatorin zu sprechen, um ihr Herz auszuschütten. Und diese Gespräche spenden auch den Zuhörern Trost, die ebenfalls allein sind. Ein bisschen wie „Schlaflos in Seattle“. Nur eben in Paris.

Da ist etwa Elisabeth (Charlotte Gainsbourg), die gerade von ihrem Mann verlassen wurde und, weil der Ex für nichts aufkommt, jetzt allein für ihre zwei pubertierenden Kinder sorgen und auch erstmals arbeiten muss. Anfangs steht die Mutter vor den Scherben ihres Lebens. Hört in ihren schlaflosen Nächten Radio. Und meldet sich dann selbst bei der Sendung. Aber nicht als Gesprächspartnerin, sie bewirbt sich in der Redaktion der Moderatorin Vanda (eine starke Nebenrolle für Emmanuelle Béart). Und wird prompt genommen. Weil sie so gut zuhören kann.

"Passagiere der Nacht": Eine Alleinerziehende und eine ­Umherstreunende begegnen sich

Und da ist Talulah (Noée Abi­ta), die, gerade mal 18, von zu Hause weggelaufen und in Paris gestrandet ist. Sie lebt mal hier, mal dort, am Rande der Gesellschaft. Und ist eines Nachts zu Gast im Studio. So lernt Elisabeth sie kennen. Und weil Talulah nach der Sendung im Kalten sitzt und nicht weiß, wo sie hinsoll, nimmt Elisabeth sie mit nach Hause. Erst mal nur für ein paar Tage.

„Passagiere der Nacht“ ist ein schöner kleiner und doch großer Film. Einer, der seine Geschichte erst nach und nach entwickelt. Und eigentlich sind es, wie in der Radiosendung auch, mehrere Geschichten. Zuvorderst die zweier ganz unterschiedlicher Frauen, der Alleinerziehenden und der Streunenden. Als Elisabeth noch glaubt, dass ihre Familie zerbricht, erlebt Talulah hier eine Wärme und Zugehörigkeit, wie sie sie nie gekannt hat. Es ist aber auch die Geschichte des 16-jährigen Sohns Matthias (Quito Rayon Richter), der Poet werden will, der sich in Talulah verliebt. Zarte Gefühle, die das fragile Idyll indes gleich wieder belasten.

Das Drama zieht sich über ein ganzes Jahrzehnt

Der Film von Mikhaël Hers („Mein Leben mit Amanda“) ist wie ein langer, ruhiger Fluss, der ganz von einzelnen Szenen und Stimmungen, Emotionen und Enthüllungen lebt, immer wieder untermalt und unterbrochen von nostalgischen Fahrten durch die Stadt, mit körnigen Amateuraufnahmen aus den 1980er-Jahren, in denen er auch spielt.

Das Drama zieht sich über das ganze Jahrzehnt. Von der Aufbruchstimmung nach Mitterrands Wahlsieg 1981, die sogleich durch das Ende der Ehe konterkariert wird, sehen wir dann in Vier-Jahres-Sprüngen, wie diese Figuren an sich selber wachsen. Von der ersten Liebe bis hin zu komplexen Konflikten wie Drogensucht und Krebserkrankung. Nichts aber scheint diese starken Bande auseinanderreißen zu können, und ganz selbstverständlich wird der Gast in eine alte Familientradition miteinbezogen.

„Passagiere der Nacht“: Ein bezaubernder Film

„Passagiere der Nacht“ spielt größtenteils in einem Hochhaus. Aber keinem der üblichen prekären Sozial- und Problembauten, sondern einem Anker und Bollwerk mit majestätischem Ausblick: auf die Stadt, aber auch auf andere Fenster, hinter denen sich andere Geschichten, andere Lebenspassagen verbergen.

Ein bezaubernder Film. Mit einer wie so oft bezaubernden Charlotte Gainsbourg. Eigentlich ist dies ein Coming-of-Age-Drama, und das gleich vierfach. Weil nicht nur die Jugendlichen hier ihren Weg und ihre Bestimmung finden müssen, sondern auch die Mutter und Ersatz-Mutter. Und alle verlassen nach und nach das Haus, selbst Elisabeth, als ihr klar wird, dass sie fortan allein ist.

Aber doch nicht ganz. Weil sie dieses große Herz hat. Weil es die Chance auf ein neues Glück gibt, bei dem man nicht die alten Fehler wiederholen muss. Und weil sie schließlich selbst hinterm Mikro sitzt und die Fragen stellt.

„Passagiere der Nacht“111 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im 3001 und Abaton