Hamburg. Stars, Glitzer, viele Hits und ein emotionaler Höhepunkt: In Hamburg gibt es ein buntes Potpourri, bei dem alles zu viel ist.

„Alle unsere Mitarbeiter sind schon drin‟, erklären zwei ältere Herren gut gelaunt am Eingang der Barclays Arena. Drinnen reges Treiben mit vereinzelt festlichen Motiven. Ein Anzug bedruckt mit Weihnachtsbäumen. Ein T-Shirt mit dem Vers: „Rockin' Around The Christmas Tree‟. Ansonsten leicht bis stark schick gemachte Menschen mit vorfreudigem Glanz in den Gesichtern.

Firmenbelegschaften, Freundescliquen, langzeitverliebte Paare, euphorische Eltern und ihre noch etwas ratlos dreinblickenden Teenager: Die Night of the Proms ist für viele so etwas wie die inoffizielle Weihnachtsfeier. Ohne üppig dekorierten Tannenbaum und ohne Eisfüße an der Glühweinbude, dafür mit sehr viel Glitzer und sehr viel Lichterzauber. Denn wenn Klassik schmelzend und wuchtig inszeniert auf Pop trifft, ist der innere Lametta-Pegel konstant auf Anschlag. Bei den Proms menschelt und kitschelt und überwältigt es für satte drei Stunden. Eine bunte Tüte, in der alles zu viel ist. Und deshalb genau richtig.

Night of the Proms in Hamburg: Die Referenz der Referenz der Referenz

Bereits vor Beginn sind auf der Leinwand zahlreiche Stars zu sehen, die seit 1985 bei dieser europäischen Potpourri-Tour mitgemischt haben. Musikhistorische Schwergewichte wie James Brown, Joe Cocker, Sinéad O'Connor oder Chrissie Hynde sind in der 2022er-Variante zwar nicht dabei. Aber das tut der Kurzweiligkeit keinen Abbruch.

Die Night of the Proms ist für viele so etwas wie die inoffizielle Weihnachtsfeier.
Die Night of the Proms ist für viele so etwas wie die inoffizielle Weihnachtsfeier. © Roland Magunia//Funke Foto Services

Das Antwerp Philharmonic Orchestra, das gemeinsam mit Band, Gesangstrio sowie dem Chor Fine Fleur die gesamte Bühne ausfüllt, startet hoch aktuell mit einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Chartshit: „Unholy‟ von Sam Smith und Kim Petras eignet sich bestens zur bombastischen Interpretation. Und wird bei den Proms auch noch mal kurz mit „How Deep Is Your Love‟ garniert. Ob von den Bee Gees oder Take That, das mag die persönliche popkulturelle Sozialisation entscheiden.

Denn die Proms sind ja ohnehin die Referenz der Referenz der Referenz. Und diesem Reigen gilt es sich schlichtweg hinzugeben. Oder, wie es Moderator Stefan Frech mit Anspielung auf die corona-bedingt zwei Mal verschobene Show formuliert: „Heute Abend gilt die 3G-Regel – nur gut gelaunte Gäste‟. Das bewegt sich durchaus an der kalauernden Schmerzgrenze. Aber weiter geht’s. Denn, so Frech: „Klatschen ist wichtig.‟ Vor allem wenn Brahms' „Ungarischer Tanz Nr. 5‟ auf dem Programm steht.

Night of the Proms: Matt Simons bringt Lässigkeit auf die Bühne

Die brasilianische Maestra Alexandra Arrieche dirigiert mit Verve und Augenzwinkern. Sie ist ebenso eine künstlerische und charismatische Konstante des Abends wie die britische Saxophonistin YolanDa Brown, die ihr Instrument immer wieder mit ganz eigenem Groove zwischen Soul, Reggae und Jazz präsentiert. Und so gerne die Proms auch mal von vermeintlich coolen Rockfans oder Klassikpuristen belächelt werden: In Sachen Diversität ist die Reihe doch ziemlich weit vorn.

Viel lässige Leichtigkeit bringt der kalifornische Singer-Songwriter Matt Simons mit Songs wie „We Can Do Better‟ und „Catch & Release‟ auf die Bühne. Und das Orchester schiebt die Nummern mit Bläser-Wumms noch einmal extra an. Junge Stars wie Simons wechseln sich bei den Proms ab mit lange gehegten Traditionen, etwa dem Walzer-Tanz in den Gängen zu Strauss' „An der schönen blauen Donau‟. Immer mehr Paare aus dem Publikum trauen sich zum beschwingten Wogen im Saal. Alles ist Musik. Alles geht. Und ein Hit ist ein Hit. Ob er nun vor gut 150 Jahren entstanden ist oder ob er 35 Jahre alt ist. So wie „China In Your Hand‟, den Carol Decker von der Band T'Pau mit viel Gefühl intoniert.

Tribut an John Miles, der Seele der Night of the Proms

Emotionaler Höhepunkt des Abends ist das Tribut an den 2021 gestorbenen John Miles, der Seele der Night of the Proms, der die Show von Anfang an begleitete. Einfühlsam untermalt das Orchester eine Gesangsaufnahme des britischen Musikers, in der er „My Way‟ interpretiert. An der Bühnenrampe: ein leeres Mikrofon im Scheinwerferkegel. Eine berührende Geste. Für die Proms-Hymne „Music‟ wiederum setzt sich sein Sohn John Miles junior an den weißen Flügel, begleitet von dem wirklich hervorragenden Background-Gesangstrio. Die Menge erhebt sich, klatscht mit – eine schöne kollektive Würdigung.

Auch John Miles junior trat bei der Night of the Proms in Hamburg auf.
Auch John Miles junior trat bei der Night of the Proms in Hamburg auf. © Roland Magunia//Funke Foto Services

Noch zu Lebzeiten von Miles, im Jahr 2013, war Amy MacDonald bereits Teil der Proms-Reisegruppe. „Das ist eigentlich ein schlechter Zeitpunkt, um auf die Bühne zu kommen: Ich habe bis eben das WM-Spiel Argentinien gegen die Niederlande gesehen. Wer weiß, was da gerade passiert‟, erzählt sie mit butterweichem schottischen Akzent, während ihr Hosenanzug wie ein Sternenhimmel funkelt. Das Proms-Konzept zwischen Nahbarkeit und Glamour verkörpert die Musikerin perfekt. Und Songs wie „This Is My Life‟ sind einfach immerfrische Überhits. Apropos Überhits: Auf Beethovens Neunte folgt ein stimmlich starker Nik Kershaw, der die Menge mit Stücken wie „Wouldn't It Be Good‟ in 80er-Jahre-Schwof-Stimmung versetzt.

Night of the Proms: Vorverkauf für 2023 gestartet

Der lustigste musikalische Übergang des Abends ist aber wohl Verdis Gefangenenchor aus „Nabucco‟, dessen Ende fließend in „Cherish‟ von Kool & The Gang hineingleitet, während die Band aus dem Bühnenboden aufsteigt. Mit ihrem Discosoul entfesselt die Band dann auch das große Finale, zu dem noch einmal alle Stars auf die Bühne kommen. Inklusive Ankündigung, dass der Proms-Vorverkauf für 2023 bereits begonnen hat. Ab jetzt hoffentlich: alle Jahre wieder.

Night of the Proms: 8.+9.12.2023, Barclays Arena Hamburg, Tickets ab 60 Euro unter www.notp.com/deutschland