Hamburg. Pianist Daniil Trifonov, Dirigent Cristian Măcelaru und das Orchestre National de France erhellen in der Elbphilharmonie nicht nur optisch.
Manchmal haben ungewöhnliche Perspektiven aufs Geschehen auch ihr Gutes. Stramm seitlich zur Bühne, unmittelbar im Rücken des ausführenden Pianisten zu sitzen, hilft einem nicht weiter, wenn man dessen Fingerfertigkeiten besichtigen möchte. Aber beim nur selten zu hörenden Skrjabin-Klavierkonzert ist dieser speziellere Blick- und Hörwinkel reichlich erhellend, und das nicht nur optisch.
Elbphilharmonie Hamburg: Zwei Welten treffen aufeinander
Denn einerseits klingt ein mit dem Deckel nach rechts abstrahlender Flügel, so gehört, deutlich anders als klassisch von vorn wahrgenommen. Eigener, selbstständiger, losgelöster. Man erhält eine konkrete Ahnung, wie der Solist sich und alles andere wahrnimmt und wie viel Arbeit es sein kann, in Kontakt zum Tutti zu bleiben. Andererseits wird so auch klarer und präsenter, dass sich in Skrjabins Opus 20 zwei Welten fast durchgängig aneinander entlang und vorbei ausleben.
In der Spätspätromantik muss man lange suchen, um ein ähnlich verschroben-verpeiltes Werk zu finden, ein Stück, in dem der virtuose Solo-Part derart autark und frei trudelnd neben dem Orchester entlang vor sich hin träumt und macht und tut und perlt und kurz ausprobiert und dann doch wieder verwirft. Das fis-moll-Konzert ist eine ziemlich episch geratene Fantasie in drei Sätzen, in der sich die Teilnehmenden nur hin und wieder bei Themen-Andeutungen begegnen und danach wieder kreuz und quer abbiegen.
Da muss es gehörig rauschen, transzendieren und grübeln
Das alles kann man spielen wie überreifen Chopin, der eindeutig zu viel späten Liszt gehört hat und für seine ruhigen Momente gern auf Bill Evans umschulen möchte. Man kann es aber auch als wie improvisiert wirkende Grübelei mit Orchesterbegleitung auffassen – womit wir bei Daniil Trifonov wären, der dieses Konzept bei seinem Auftritt im Großen Saal der Elbphilharmonie unternahm und konsequent durchzog.
Warum diese Musik ihm so liegt, so sehr am Herzen liegt? Womöglich schlicht deswegen, weil sie ihn nicht einengt in seinem drastischen Individualismus als ein Künstler, der sich nur über Musik erklärt oder vermummt. Niemand mag eine Insel sein, Trifonov ist ganz eindeutig ein Pianist für die einsame Insel.
Einzigartig: Der Klavier-Part von Trifonov verzaubert
Im Booklet seiner Einspielung dieses Konzerts schrieb Trifonov über die interpretatorische Sinnfindung, die Tempogestaltung sei „Sinnbild der Kapriolen, die das Schicksal schlägt – wie der Wind, der auch nie nur mit einer Geschwindigkeit weht“. Das ist vielleicht ein ganz kleines bisschen schwülstig und glitzerpoesialbumkompatibel. Aber mit nüchterner Analyse wird man diesem Konzert nun mal nicht gerecht. Da muss es gehörig rauschen, transzendieren und grübeln. Gerade das Disparate und Unkonkrete hält das Ganze so gut zusammen.
Nachdem Trifonov die ersten Stimmungskurven nachempfunden hatte, wurde es im langsamen Variationssatz endgültig ganz zauberhaft. Trifonov spielte, als sei er mit sich und dieser Musik allein im Raum, ohne jeden Druck, ihr Gestaltung aufdrängen zu wollen. Bei den Solo-Einwürfen vor allem der Holzbläser ging er interessiert in kurze Dialoge, doch das vorherrschende Gefühl, bis hin zum nachklingenden Schluss-Akkord nach dem Verlöschen des Orchesters, war und blieb: Dieser Klavier-Part ist sich selbst genug.
Elbphilharmonie Hamburg: Die Stärken des Orchesters
Mit dem Orchestre National de France (ONF) hatte Trifonov eine geschmackssicher kluge Begleitung, die ihn gewähren ließ, ohne sich überzogen ins Klang-Bild zu drängen. ONF-Chefdirigent Cristian Măcelaru hatte ja schon vor dem Skrjabin ganz lässig, sehr konzentriert und mit dezenter Eleganz ausgespielt, wo die Stärke dieses Orchesters liegt: im Auskosten und Ausreizen der Nuancen und Farbschattierungen. Ravels Märchensammlung „Ma mère l’oye“ war, natürlich, eine feine Visitenkarte für die gestalterischen Stärken, ein 1a-Heimspiel. Das Kopfkino sprang sofort an, zeigte die Schöne und das Biest, den Däumling, die aparte Chinoiserie und am Ende den magischen Garten.
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Bevor Orchester und Dirigent mit der „Farandole“ aus Bizets „L’Arlesienne“-Suite als blau-weiß-rote Zugabe verabschiedeten, musste eine dritte bedeutende französische Musik-Instanz gewürdigt werden: César Franck und ebenso dessen d-Moll-Sinfonie. Mehr Pflichtstück geht kaum für ein Nationalorchester aus Paris. Măcelaru glänzte als souveräner Former, Arbeiter und Polierer des Materials, so dass diese Sinfonie am Ende überzeugender wirkte, als sie ist.
Klavierabend: 17. Januar, Laeiszhalle, Gr. Saal. Werke von Tschaikowsky, Schumann, Mozart, Tschaikowsky, Ravel und Skrjabin. CD: „Silver Age“: Werke von Skrjabin, Strawinsky und Prokofjew (DG, ca. 20 Euro)