Hamburg. Der marokkanische Musiker Mehdi Qamoum und seine Mitstreiter zelebrierten im Kleinen Saal ein religiöses Ritual.
Farbenfrohe Teppiche und einladende Sitzkissen, kunstvoll bemalte Beistelltische und Lampen mit orientalischen Ornamenten – von solch einer bezaubernden Gemütlichkeit wurde das Foyer des Kleinen Saals wohl noch nie eingenommen. Ein mosaikverzierter Brunnen plätscherte beruhigend, während daneben süßer Minztee und köstliches Sesamgebäck gereicht wurde.
Vier Tage hat die Elbphilharmonie zum Sufi-Festival geladen. Und am Sonnabend stand mit dem Auftritt des marokkanischen Musikers Mehdi Qamoum ein mehrstündiges Ereignis an: ein Lila genanntes Trance-Ritual der Gnawa-Bruderschaft, deren Wurzeln tief in der Sklaven-Geschichte Nordafrikas liegen. Musik, Tanz und Gebet sollen von den Fesseln des Verstandes befreien und zu einem entgrenzenden Erlebnis führen, zu einer heiligen wie heilenden Erfahrung. Was dieser Abend auf jeden Fall bewirkte: Dass ein äußerst gemischtes Publikum in die Elbphilharmonie kam. Vom Alt-68er-Paar bis zur jungen Clique, die zum Foto mit marokkanischer Flagge posierte.
Sufi-Festival: Die Gimbri ertönte in einem dunklen betörenden Fluss
Bevor Mehdi Qamoum in das Lila-Ritual einstieg, spielte er gemeinsam mit seinen vier Musikern einige Kompositionen, die bereits einer Art euphorisierenden Meditation gleichkamen. Und die ebenfalls auf dem traditionellen Instrumentarium der Gnawa basierten. Allen voran auf der Spießlaute Gimbri, die Qamoum virtuos spielte und neu interpretierte, bis hin zum Blues, nicht zuletzt dank elektrifiziertem Anschluss. Der Korpus der länglichen Gimbri sei aus Holz, erklärte der Musiker, und die Saiten aus Schafsdarm. „Sorry an alle Vegetarier“, schob er verschmitzt hinterher. Seine Gimbri ertönte in einem dunklen betörenden Fluss. Halb Rhythmus, halb Melodie. Und Qamoum sang kehlig und eindringlich dazu, wie ein Rufen in die Ferne, im Wechsel mit seinen Begleitern, die wie er auf bunten Quadern auf der Bühne saßen.
Eine große organische Wärme strahlte dieser musizierende Verbund aus. Angetrieben wurde ihr ungemein einnehmender und zugleich energetischer Sound von auf- und abschwellendem Klatschen oder dem steten Scheppern der Qaraqib – kleine metallene, in den Händen bewegte Becken.
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Sufi-Festival: Musiker begaben sich in rhythmische Ekstase
„Jede Farbe hat ihre eigene Energie“, erläuterte Qamoum das Lila-Ritual. Und so spielte sich das Quintett über Weiß und Grün zu Bunt. Im Laufe eines jeden Abschnitts erhob sich einer der Musiker, warf sich ein Tuch mit der entsprechenden Farbe über den Kopf und begab sich schwingend, taumelnd und tanzend in rhythmische Ekstase. Ein Streben nach göttlicher Energie, das zugleich intim und universell anmutete.
Einige Gäste im Kleinen Saal taten es ihnen in den Gängen des Saals gleich, während andere in ihren Sitzen sanft hin- und herwiegten. Die komplexen Klänge luden dazu ein, die Augen zu schließen. Variationen eines Stroms, der das Unterbewusstsein zum Schwingen bringt. Mal ebenmäßig, mal beschleunigend, dann auch turbulent und rauschend, um schließlich wieder in den pulsierenden Fluss zurückzudriften. Ein intensiver Sog, der lange nachhallte.