Hamburg. Die Roman-Inszenierung ist toll besetzt, findet einen eigenen Ton und bedient trotzdem auch Nostalgiker und Audrey-Hepburn-Fans.

Was für eine hübsche Spiegelung: Als Holly Golightly ihrem Nachbarn, den sie beharrlich „Fred“ nennt, offenbart, wie sehr sie Emily Brontës „Sturmhöhe“ liebt, und er begreift, dass sie keineswegs vom Roman spricht, sondern von der Verfilmung, lacht er sie aus. Natürlich weiß der für diese Szene verantwortliche Regisseur Benjamin Hille, dass es einem Großteil seines Publikums im Altonaer Theater mit „Frühstück bei Tiffany“ ganz ähnlich geht.

Sein Schauspiel inszeniert er, getreu dem Theater-Motto „Wir spielen Bücher“, nach dem berühmten Roman von Truman Capote. Die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer hingegen dürften vor allem den noch berühmteren Film von 1961 vor Augen haben, der Audrey Hepburn in ihrem schwarzen Givenchy-Kleid, der enormen Sonnenbrille und der eleganten Zigarettenspitze zur Stilikone machte. Und natürlich zitiert er dessen legendäre Anfangsszene und lässt seine Hauptdarstellerin Josepha Grünberg mit Kaffeebecher und Croissant vor der (hier nicht sichtbaren) New Yorker Juwelierauslage seufzen.

Theater Hamburg: Regisseur Hille spielt mit Andeutungen

Allerdings ist dies bei ihm nicht der Auftakt, so einfach macht es sich Hille nämlich nicht. Lieber gönnt er sich ein weiteres Zitat, mit dem er Zeit, Ort und Atmosphäre seiner Handlung, die anders als im Film in den Vierzigerjahren spielt, andeutet: Wie im Edward-Hopper-Gemälde „Nighthawks“ von 1942 stützen sich eine Frau im roten Abendkleid und ein Mann mit Borsalino auf die Theke, ein weiterer Mann mit Hut trinkt ähnlich einsam ein Stück entfernt.

Der Barkeeper (Daniel Große Boyman übernimmt auch das Klavier) trägt das charakteristische weiße Diner-Käppchen, Sorina Kiefer setzt mit einem sensationell melancholischen „Falling Leaves“ den Ton für den Abend.

Und das Bar-Gespräch zwischen Fred und Barmann Joe Bell, die der schillernd bedürftigen Holly wie alle restlos verfallen sind, nimmt einen entscheidenden Unterschied zwischen Roman und Verfilmung vorweg: Nur im Kino gab es ein Happy End. Truman Capote soll nicht glücklich über die gefälligere Hollywood-Änderung gewesen sein. Benjamin Hille aber hält sich an das Original und weil dies von Beginn an deutlich ist, schwingt diese Schwermut über die gesamte Strecke mit.

Holly Golightly: Mädchenhaft, kompromisslos, ikonisch

„Man liebt sie wie eine Fremde. Eine Fremde, die zugleich eine Freundin ist“, heißt es zu Beginn über Holly Golightly. Und etwas später: „Sie ist komplett durchgeknallt!“ Ein reizendes, aber unverschämtes, kindliches, überforderndes, unendlich schlagfertiges Wesen mit einem Geheimnis also.

Eine mädchenhafte junge Frau, die sich von reichen älteren Männern aushalten lässt und dennoch ihre Freiheit auf eine derart kompromisslose Art behauptet, wie sie damals schockierend gewesen sein muss. Diese nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung absolut ikonische Rolle mit all ihren Widersprüchen zu übernehmen, ist eine Herausforderung und erfordert Chuzpe. Eigentlich muss man am Vorbild krachend scheitern.

Grünberg spielt ihre eigene Holly

Nicht so Josepha Grünberg. Ihre Energie, ihr Charme und im besten Sinne auch ihre Unverfrorenheit sind es, die den Abend vor allem tragen. Nicht zu scheitern, wäre das Minimalziel gewesen, aber ihr Spiel geht weit darüber hinaus. Sie erinnert fraglos an Audrey Hepburn, dafür sorgen schon Maske (Maria Heidemann) und Kostüm (Barbara Krott).

Grünberg findet aber zugleich etwas Eigenes in ihrer Holly, zeigt sie handfester, vielleicht auch noch eine Spur unabhängiger. In einer Zeit, in der Männer noch der Ansicht waren, dass sie mit einer Cocktailrechnung auch den Körper eines Mädchen bezahlt hätten.

Altonaer Theater: Hervorragendes Ensemble

Neben ihr behauptet sich Philip Wilhelmi mit Geduld und ruhiger Präsenz. Er ist als aufstrebender Jungschriftsteller Fred der Erzähler der Geschichte, seine Figur trägt wohl auch Züge seines Schöpfers Truman Capote. Gelegentlich wünschte man der Altonaer Inszenierung (die in Kooperation mit dem Alten Schauspielhaus Stuttgart entstand) ein wenig mehr Tempo, das allerdings ist Jammern auf hohem Niveau.

Das Ensemble jedenfalls ist durch die Bank hervorragend, auch Achmed Ole Bielfeldt und Reinhold Weiser, die wie Daniel Große Boymann mehrere Rollen übernehmen und Holly bei Bedarf „das rote Elend“ weglachen. Sorina Kiefer sorgt nicht nur im Gesang, sondern unter anderem als Hollys beste Feindin Mag für Glamour.

Frühstück bei Tiffany“ befriedigt Sentimentalitätsbedürfnis

Auf die Bühne hat ihnen Barbara Krott einen milchverglasten, drehbaren, vor allem aber betörend schlichten Multifunktions-Quader gestellt. Ein bisschen erinnert er an die Raucher-Boxen auf Bahnsteigen oder an Flughäfen, vor allem wenn die Partygeräusche herausdringen, die Figuren hinein- und hinausstolpern oder der Qualm bei Hollys offensichtlich missglücktem Kochversuch durch die geöffnete Tür dringt. Ringsum hängen die Feuerleitern und ermöglichen eine weitere Spielebene. Für das New Yorker Brownstone House sorgt ansonsten die Fantasie.

Ein Spielort ist das ebenfalls gut genutzte Klavier an der Bühnenrampe – und natürlich wird auch das wundervolle „Moon River“ gegeben, für das der US-amerikanische Komponist Henry Mancini 1962 einen Oscar gewann. Im Film singt es Audrey Hepburn selbst, für sie wurde es einst geschrieben. Und auch wenn Benjamin Hille in seiner gelungenen Inszenierung nicht der Nostalgie verfällt, bedenkt er doch ein gewisses Sentimentalitätsbedürfnis. Auch dafür geht man ja in „Frühstück bei Tiffany“.

„Frühstück bei Tiffany“, Altonaer Theater bis 26.12., Karten und Termine unter T. 39905870 und www.altonaer-theater.de