Hamburg. Das Stück „Im Schatten der Diktatur“ im St. Pauli Theater hinterfragt gekonnt das Handeln des Schauspielers zwischen Kunst und Politik.

Ein durchtrainierter Mann übt Handstand. Zwar nur in Schwarz-Weiß auf einer Projektion im Bühnenhintergrund. Doch spätestens als die Bilder in Bewegung geraten und Filmausschnitte zu sehen sind, wird älteren Zuschauerinnen und Kino-Interessierten klar, dass es sich hier um René Deltgen handelt. Jenen Schauspieler, der bis 1979, zum Ende seiner 70 Lebensjahre, Theater spielte und mehr als 70 Filme drehte, etwa „Kautschuk/Die Grüne Hölle“ (1938), „Der Tiger von Eschnapur“ (1959), Mitte der 1960er die Titelfigur in der populären Edgar-Wallace-Verfilmung „Der Hexer“ bis zu seiner letzten Rolle als Alm-Öhi in der „Heidi“-Verfilmung.

Charmanter Liebhaber und Abenteurer, das war der für sein körperbetontes Spiel gerühmte frühe Rene Deltgen. Der bis heute wohl bekannteste Schauspieler Luxemburgs war aber auch ein Künstler „Im Schatten der Diktatur“. Unter jenem Titel nähern sich seine Landsleute und Kollegen André Jung und Luc Feit nun im St. Pauli Theater in einer Co-Produktion mit der diesjährigen Europäischen Kulturhauptstadt Esch-sur-Alzette dem vielseitigen wie umstrittenen Künstler und Menschen. In seiner Heimat gilt Deltgen vielen noch immer als Nazi-Kollaborateur.

Theater Hamburg: Jung übernimmt Rolle des Protagonisten

Regisseur Ulrich Waller führt seine beiden Darsteller spielerisch, in erzählerischem Ton und scheinbar improvisatorisch an die Figur Deltgen heran. Eine feine Idee, überzeugend umgesetzt. Weil Jung der ältere ist, übernimmt er die Rolle des Protagonisten, Feit die des Befragers und Anspielers, später dann auch die eines Richters. André Jung, früher am Deutschen Schauspielhaus zu Hause, klappt auf der Bühne einen senkrecht stehenden, alten, überdimensionalen und schmucken Reisekoffer auf, der die Garderobe Deltgens mitsamt Tischchen, Schminkspiegel und einer Liege freigibt. Die nostalgisch anmutende Kulisse von Raimund Bauer ist eine Augenweide.

Auch dank dieser lässt sich das Publikum im leider nur etwa zu einem Drittel gefüllten Theater bei der Hamburg-Premiere des Stücks gern mitnehmen zu den Anfängen von Deltgens Karriere mit dem Sprung von Esch nach Köln und weiter nach Berlin. Dort lebt der von den Nazis zum „Staatsschauspieler“ ernannte Deltgen dann im noblem Ortsteil Dahlem, will aber später nichts davon gewusst haben, dass ein gewisser Heinrich Himmler in der gleichen Straße wohnte – geschweige denn vom menschenverachtenden System. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs steht Ufa-Star Deltgen nach Mitwirkung in zahlreichen Propagandafilmen auf Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“ als einer von dessen Lieblingsschauspielern.

Theater Hamburg: „Ich war immer René Deltgen"

In der Textfassung und Dramaturgie von Frank Feitler und Kristof van Boven hinterfragen Jung und Feit gekonnt Deltgens Wirken im Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik. Im Laufe der eindringlichen 70-minütigen Inszenierung Wallers macht Jung als „Escher Jung“ den Alterungsprozess Deltgens durch, nicht aber einen Läuterungsprozess. Beeindruckend, wie er schließlich mit Bärtchen, Hut, Seidenschal und im schnieken Anzug an der Rampe steht und sich vor dem luxemburgischen Gericht zu verteidigen versucht. „Ich war immer René Deltgen, nie Rüdiger Deltgen“, betont er – und fleht mehrmals geradezu: „Ich habe doch nie eine Wehrmachts-Tournee gemacht.“

Von seinen zwei Jahren Haft musste Deltgen nur wenige Monate absitzen. 1952 bekam er seine luxemburgische Staatsangehörigkeit zurück, um in der jungen Bundesrepublik seine zweite Karriere zu starten, als wäre nichts gewesen. Und damit, auch daran erinnert die am Ende gefeierte Inszenierung, war Deltgen ja kein Einzelfall.

„Im Schatten der Diktatur. Der Schauspieler René Deltgen“ noch Mi 2. und Do 3.11., jew. 19.30, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29/30, Karten ab 17,90 unter T. 47 11 06 66; www.st-pauli-theater.de