Hamburg. Der Luxemburger Schauspieler ist in gleich zwei Produktionen in Hamburg zu erleben. Er spielt auf Kampnagel und im St. Pauli Theater.

Die Stimme des Schauspielers René Deltgen ist der Nachkriegsgeneration noch bekannt. Unter anderem war er „Der Hexer“ in den Edgar-Wallace-Verfilmungen. Er war aber auch ein Star der UFA-Ära, tief verstrickt in die Propagandafilme der Nazis und bis zuletzt auf der Liste von Hitlers Lieblingsschauspielern.

Wie René Deltgen ist auch André Jung Luxemburger. Gemeinsam mit Luc Feit, ebenfalls Luxemburger, versucht Jung in der Inszenierung „Der Schatten der Diktatur“ im St. Pauli Theater eine Annäherung an die Figur des René Deltgen. „Ich fand das ganz schön, dass zwei Luxemburger Schauspieler, die in Deutschland tätig sind, so einen Menschen anschauen“, erzählt André Jung durchs Telefon aus Zürich. Bis heute würden viele Luxemburger Deltgen für einen Nazi halten und Jung würde ihnen nicht widersprechen. In der Inszenierung wollen die Beteiligten – Frank Feitler und Kristof van Boven haben den Text erstellt, Ulrich Waller führt Regie – versuchen, ihn genauer zu beleuchten.

André Jung spielt im St. Pauli Theater und auf Kampnagel

Der Schauspieler André Jung ist ein Wanderer zwischen allen Hamburger Bühnen. 2019 kehrte er an seine langjährige Wirkungsstätte, das Schauspielhaus, an dem er die Baumbauer-Zeit mitgeprägt hatte, in Karin Henkels Bernhard-Adaption „Die Übriggebliebenen“ zurück. Nun ist er in gleich zwei Produktionen zu erleben. Erstmals am St. Pauli Theater vom 1. bis 3. November in „Der Schatten der Diktatur. Der Schauspieler René Deltgen“. Und vom 17. bis 20. November auf der Kampnagel-Bühne in Thorsten Lensings Allstar-Abend „Verrückt nach Trost“.

Gerade ist er in der Schweiz unterwegs. Beim Telefonat spricht er mit seiner tiefen, feinen und doch immer so genauen Stimme, die verbunden mit seinem Spiel die Facetten des Menschlichen auf so einzigartige Weise nahbar macht.

Um René Deltgen ranken sich einige Geheimnisse

Und nun übernimmt er also die Rolle des René Deltgen, der von Luc Feit auf der Bühne über sein Leben befragt wird. „Wir nähern uns auf eine eher spielerische Art und Weise. Man kommt ins Erzählen und geht immer mehr in die Figuren rein“, berichtet Jung. Um Deltgen ranken sich einige Geheimnisse. So wurde er nach dem Krieg wegen Landesverrats verurteilt, musste seine Strafe aber nur zur Hälfte absitzen. Er hat zur Zeit der Nazis wohl auch Menschen geholfen, die bedroht waren. „Andererseits hat er die luxemburgische Jugend aufgefordert, der Hitlerjugend beizutreten“, so Jung. Ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein habe er eher nicht gehabt. Aber einen Karrierewillen, der ihn zum Kollaborateur eines menschenverachtenden Systems werden ließ.

Ausgesprochen angenehm erlebte André Jung die Arbeit mit Ulrich Waller. „Ich kann hier mit Leuten arbeiten, die ich schätze und Dinge ausprobieren. Das genieße ich sehr.“

Jung schätzt an der Zusammenarbeit mit Lensing die Freiheit

Ideale Bedingungen fand André Jung auch bei den Proben zu der neuen Produktion des freien Regisseurs und Autors Thorsten Lensing vor. Nach Adaptionen von Dostojewski, Tschechow und Foster Wallace hat dieser nun mit „Verrückt nach Trost“ erstmals ein eigenes Stück verfasst. Neben André Jung spielen die langjährigen Mitstreiter der Lensing-Abende Devid Striesow, Ursina Lardi und Sebastian Blomberg mit. „Er ist mit jedem irgendwann mal die Sachen durchgegangen und hat Teile vorgelesen“, erzählt André Jung.

„So richtig ist er aber nicht mit der Sache rausgerückt, aber da wir uns alle ganz gut kennen, haben wir darauf vertraut.“ An der Zusammenarbeit mit Lensing schätzt Jung vor allem die Freiheit. Sie hat es ihm auch ermöglicht, mit dem gehandicapten „Mario“ in „Unendlicher Spaß“ eine zutiefst berührende Figur zu schaffen. „Es gibt keine Tabus. Man probt und keiner macht sich lächerlich. Und bald merkt man, wie sich Sachen formen.“ So eine Inszenierung sei ein richtiger Luxus. Ohne den Druck einer Bindung an einen Theaterapparat.

André Jung: Die nächsten zwei Jahre sind angefüllt mit Projekten

„Verrückt nach Trost“ erzählt die Geschichte der Kinder Charlotte und Felix, die am Strand ihre verstorbenen Eltern spielen. Aus den Spielenden werden Erwachsene, die intensive Begegnungen Revue passieren lassen. „Ich spiele einen Orang-Utan oder einen anderen Affen“, sagt André Jung. „Er redet nicht, aber er ist wesentlich beteiligt. Er stört die Konzentration, obwohl er eigentlich nur ruhig dasitzt. Er gehört aber unbedingt dazu.“ Es ist eine zum Teil in Leseerfahrungen abdriftende Geschichte, die Lensing erzählt.

„Jugend und Alter, Tier, Kreatur, all das gehört in den Zusammenhang“, so Jung. „Ich spiele auch einen Pflege-Roboter, der vielleicht so etwas wie der bessere Mensch ist. Er kennt keine Eifersucht, nur das Bestreben, einen anderen Menschen glücklich zu machen. Das ist Theater!“ Lensing habe die Mitwirkenden als Menschen und als Darsteller gedacht. Er stelle keine Behauptungen auf. Sondern setze ganz auf das Spiel selbst. „Es geht wirklich um Verlust. Es ist sehr lustig und trostlos aber auch tröstlich“, erzählt André Jung. „Man setzt sich mit Dingen auseinander, über die man nicht so gerne reden würde, aber man lacht und hat Spaß.“

Spaß hat der 68-jährige André Jung weiterhin an seinem Beruf. Die nächsten zwei Jahre sind jetzt schon angefüllt mit neuen Projekten. Vielleicht ja auch wieder in Hamburg.

„Im Schatten der Diktatur. Der Schauspieler René Deltgen“ 1. bis 3.11., jew. 19.30 Uhr, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30, Karten unter T. 47 11 06 66; www.st-pauli-theater.de.
„Verrückt nach Trost“
17./18.11., 19 Uhr, 19./20.11., 18 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter www.kampnagel.de