Hamburg. Das ölige Ambiente lässt im Stück „Soiled“ Bewegungen verrutschen, alles glitscht und schmiert. Ein so lustvoller wie komischer Abend.

„Lights fade out“, die Lichter verblassen, im Theatersaal auf Kampnagel wird es dunkel. Und dass es dunkel wird, bekommt man auch direkt gesagt: Die Audiodeskription (Monique Smith-McDowell), die sonst bei Bedarf per Kopfhörer zugeschaltet werden kann, tönt in Michael Turinskys „Soiled“ laut durch den Raum. Aber immerhin, für die nächste Viertelstunde bleibt das Licht weg, da helfen die Beschreibungen durchaus. Also: In einem Becken sitzen David Bloom, Sophia Neises und Liv Schelander. Ein kürbisähnliches Gebilde hängt über ihnen. Und langsam fließt Kürbiskernöl in die Wanne, es plätschert, nach einer Weile riecht man es auch.

"Soiled": Eine Evolutionsgeschichte der Beziehungen

Der Wiener Performer Michael Turinsky machte vor einem Jahr unter anderem auf Kampnagel mit dem Stück „Precarious Moves“ auf sich aufmerksam, einer so ästhetisch radikalen wie inhaltlich konsequenten Auseinandersetzung mit dem Bewegungsvokabular der eigenen Behinderung. Bei „Soiled“ ist Turinsky nun gar nicht selbst auf der Bühne, das Thema „Behinderung“ spielt nur noch unterschwellig mit in die Inszenierung: Neises hat eine Sehbehinderung, was die Audiodeskription mit einer doppelten Bedeutung auflädt.

Davon abgesehen, erzählt Turinsky eine Evolutionsgeschichte: Drei Wesen lagern auf dem Boden und entwickeln sich. Allerdings nicht zum aufrechten Gang: Das ölige Ambiente lässt ihre Bewegungen verrutschen, alles glitscht und schmiert, und Entwicklung bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dass sie beginnen, sich aufeinander einzulassen. In Berührungen, in Zärtlichkeit, in einem lustvollen Spiel mit dem eigenen Körper, immer begleitet von Smith-McDowells mantrahaften Beschreibungen.

"Soiled": Sehnsucht der Kunst nach Berührung und Nähe

„Soiled“ ist also gleichzeitig fröhliche Selbstermächtigung des Körpers, egal ob mit oder ohne Behinderung (oder dem, was dazwischen liegt), und Feier der Berührung. Mit diesem Ansatz ist Turinsky gerade nicht allein: Bei der aktuellen Biennale von Venedig zeigt Melanie Bonajo im niederländischen Pavillon den Film „And The Body Says Yes“, auch hier werden Körper mittels Öl zu weichen, geschmeidigen, glitschigen und nicht zuletzt sehr schönen Kreaturen, und dass die Ästhetik von „Soiled“ sehr ähnliche Bilder aufruft, ist ein bisschen Pech.

Aber vielleicht zeigt sich hier auch eine Sehnsucht der Kunst nach Berührung und Nähe, eine pandemiebedingt verschüttete Sehnsucht? Dann wäre dieser lustvolle, sanfte und auch komische Abend weniger Plagiat als vielmehr Ausdruck einer gemeinsamen Suche.

„Soiled“ bis Sonnabend, 29. Oktober, täglich 19.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter 27094949, www.kampnagel.de