Hamburg. Die Adaption des Nick-Hornby-Romans „A Long Way Down“ am Altonaer Theater ist wunderbar warmherzig – obwohl das Thema erst ernst wirkt.
„Brauchen Sie noch lange?“ Maureen (Anne Schieber) hat es eilig. Sie möchte vom Dach eines Londoner Hochhauses in den Tod springen. Doch da steht schon Martin (Kai Hufnagel) mit der gleichen Absicht und blickt in den Abgrund. Als dann auch noch die schrille Jess (Nadja Wünsche) in die Szenerie stürzt und der Pizzabote JJ (Johan Richter) auftaucht, ist es mit dem suizidablen Vorhaben vorbei.
Dabei wäre der Silvesterabend so ein guter Termin gewesen. Doch Martin fühlt sich durch den Auflauf gestört, auch Maureen will allein sein. Letztlich trollt sich das Quartett und landet in einer Diskothek, in der ausgelassen gefeiert wird, und gründet eine Selbstmörder-Gang.
Theater Hamburg: Roman lebt von schwarzem Humor
Nick Hornby nimmt dieses zufällige Begegnung auf dem Dach zum Ausgangspunkt seines Romans „A Long Way Down“. Christian Nickel hat die Story jetzt in einer Bearbeitung von Axel Schneider auf die Bühne des Altonaer Theaters gebracht. Hornbys Roman lebt von der Unterschiedlichkeit seiner Protagonisten und von dem schwarzen Humor, den viele Geschichten des britischen Schriftstellers auszeichnen. Nickel setzt diese Vorlage erstklassig um.
Seine vier Schauspieler geben den Romantypen Tiefe und erzählen deren Lebensgeschichten ohne Übertreibung. Kai Hufnagel spielt den Martin als einen Erfolgsmenschen, dessen Leben den Bach runtergegangen ist, nachdem eine Affäre mit einer 15-Jährigen publik wurde. In ihm steckt immer noch ein Rest von schnöseliger Arroganz, doch er weiß, dass er seine Karriere als bekannter Fernsehmoderator nicht zurückbekommen wird. Die neue Gang gibt ihm den lange vermissten Halt.
Maureen pflegt schwerbehinderten Sohn
Berührend ist die Maureen von Anne Schieber. Sie pflegt seit 20 Jahren ihren schwerbehinderten Sohn, das sogenannte normale Leben ist an ihr vorbeigegangen. Mit rührender Naivität stellt sie Fragen wie „Wer ist Matt Damon?“ und freut sich, dass sie als Ersatz bei einer Quizrunde im Pub mitmachen darf. Die meisten komischen Momente gehen auf ihr Konto.
Jess ist ein Teenager, der nicht über das Verschwinden ihrer älteren Schwester hinwegkommt. Nadja Wünsche spielt sie als durchgeknallte Göre mit frechem Mundwerk. Hinter der Exaltiertheit verbirgt sie ihre Einsamkeit. JJ schließlich ist ein gescheiterter Musiker. Johan Richter zeigt ihn als melancholischen und zweifelnden Menschen auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit.
Zuschauer nehmen Anteil an Schicksalen
Nach ihrer Begegnung auf Topper’s House beschließen die vier Lebensmüden den nächsten Selbstmordversuch am Valentinstag zu versuchen, weil das ja auch ein guter Termin für einsame und gebrochene Herzen sei. Doch die Reflexion über die Beweggründe und die daraus entstehende Sinnsuche machen den finalen Schritt überflüssig. Hornbys Roman ist weniger ein Nachdenken über Selbstmord – was ihm von der Kritik vorgeworfen worden ist –, sondern der positive Versuch, das Leben anzunehmen.
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Nickel und die Schauspieler schaffen eine warmherzige Atmosphäre, man nimmt als Zuschauer Anteil an den Schicksalen. Die vier therapieren sich durch ihre Treffen selbst. Beim Nachdenken über ihre Wünsche wird ihnen klar, dass das Leben noch einiges für jeden bereit hält.
Theater Hamburg: Nickel arbeitet Abgründe heraus
Prägnanter als die Verfilmung aus dem Jahr 2014 (unter anderem mit Pierce Brosnan und Toni Collette) arbeitet Nickel die Motive, Abgründe und die Entwicklung der Figuren heraus. Am Ende stehen alle vier am Bühnenrand und singen den Beatles-Song „Obladi, Oblada“ mit der Refrain-Zeile „Life goes on“ und einem fröhlichen „la la lala la“. Und das Publikum klatscht begeistert mit.
„A Long Way Down“ nächste Termine Mi 19.10. bis Sa 23.10., läuft bis 13.11., Altonaer Theater, Karten ab 16,- unter T. 3990 5870; www.altonaer-theater.de