Hamburg. „Der Passfälscher“ erzählt die wahre Geschichte des Juden Cioma Schönhaus. Sein Talent wurde zum Lebensretter vieler Menschen.
Mimikry, dieses Wort fällt immer wieder. Das sei seine Lebensphilosophie: die Menschen glauben lassen, was sie glauben wollen. Deshalb versteckt sich der junge jüdische Mann nicht mitten im Berlin des Jahres 1942, als schon überall Juden deportiert werden, sondern läuft offen und aufrechten Ganges durch die Straßen. Nimmt auch den Bus, was Juden streng verboten ist. Oder speist gar in einem Restaurant – und gibt sich als Soldat auf Fronturlaub aus.
Was Cioma (Louis Hofmann) entgegenkommt, sind seine blauen Augen und sein blondes Haar, womit er laut nationalsozialistischer Ideologie zur „Herrenrasse“ zählt. Cioma will das bisschen Leben, das er noch haben darf, genießen. Und was hat er auch zu verlieren? Seine ganze Familie wurde schon deportiert. Er ist noch geduldet, weil er für die Rüstungsindustrie arbeitet. Aber auch das kann jederzeit vorbei sein. Carpe diem, nutze den Tag: Selten galt diese Devise leidenschaftlicher. Und verzweifelter.
Kino Hamburg: Cioma kann im Nu Pässe fälschen
Kunst wollte er studieren. Auch das haben die Nazis verboten. Sein Talent aber und seine sichere Hand weiß er anderweitig einzusetzen: Er kann im Nu Pässe fälschen und den Stempel täuschend ähnlich nachzeichnen. Auf diese Weise rettet er vielen Schicksalsgenossen das Leben. Und schlägt den Nazi-Mördern ein Schnippchen. Unfassbar, aber wahr: „Der Passfälscher“ basiert auf der Geschichte von Cioma Schönhaus, der (mit gefälschtem Wehrpass) rechtzeitig in die Schweiz fliehen konnte und so den Holocaust überlebte. Sein Los ist das männliche Gegenstück zu „Aimée & Jaguar“ über die lesbische Jüdin Felice Schragenheim.
Als deren Geschichte 1999 verfilmt wurde, erfuhr eine große Öffentlichkeit erstmals von sogenannten menschlichen „U-Booten“, also Juden, die nicht bloß untertauchten, sondern eine falsche Identität vorspielten, trotz ständiger Angst vor Entdeckung und Verhaftung. Von solchen U-Booten handelte 2017 auch das Dokudrama „Die Unsichtbaren“, zu dem Schönhaus kurz vor seinem Tod noch befragt wurde. Dabei wurden Erlebnisse von ihm mit Max Mauff unter anderem szenisch nachgestellt. Nun hat Maggie Peren, die nach ihrem Drehbuch zu „Napola“ hier zum zweiten Mal ein Nazi-Thema angeht, seine Geschichte verfilmt.
Kommissar lässt Zimmer versiegeln
Anfangs wohnt Cioma schon ganz allein in der großen, leeren Wohnung seiner Familie. Dann werden die meisten Zimmer von einem Kommissar (André Jung), der dabei selber etwas mitgehen lässt, verschlossen und versiegelt. Die Türen öffnet Cioma sofort wieder, auch Siegel lassen sich kopieren.
So leben er und sein Freund Det Kassriel (Jonathan Berlin) in der Wohnung, verscherbeln gemeinsam die gepfändeten Möbel. Und gehen sogar, ein Husarenstück, in Marineuniform zum Tanz. Wo Cioma sich in Gerda (Luna Wedler) verliebt – die, wie sich herausstellt, ebenfalls ein U-Boot ist
Krieg wird nur in Form von Luftalarm spürbar
Peren umgeht im ganzen Film jegliche Darstellung von Gewalt. Auch der Krieg wird nur von fern in Form von Luftalarm spürbar. Peren verdichtet das Geschehen kammerspielartig auf wenige dunkle Räume, was klaustrophobische Wirkung zeigt. Louis Hofmann, sonst immer stark in allem, was er spielt, sei es „Die Mitte der Welt“ oder die Serie „Dark“, wird hier jedoch auf eine Art Dauerlächeln reduziert. Natürlich bedarf es einer enormen Leistung an Verdrängung, um unter solchen Umständen zu überleben.
Und das ganze Ausmaß des Holocaust war zu dem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Aber es gibt nur zwei Momente, in denen dieses ewige Lächeln gefriert. Einmal, als Gerda mit Cioma Schluss macht – weil man allein besser durchkommt als zu zweit. Und dann, als vor seinen Augen sein Freund verhaftet wird und er sich nichts anmerken lassen darf. Da wird sein Blick ganz leer. Und erst viel später kann er seinen Gefühlen nachgeben.
Kino Hamburg: Nina Gummich spielt die Blockwartswitwe
In diesen beiden Szenen liegt die ganze Tragik dieser Geschichte. Lange aber bleibt das Überlebensspiel einfach das – ein Spiel. Freilich braucht ein solch permanentes Verstellen Chuzpe – und darf auch als Schelmenstück erzählt werden. Und allzu lange haben ja Bilder der jüdischen Passivität das Kino beherrscht, was erst allmählich aufgebrochen wird. Aber dennoch hätte man sich von diesem Film mehr Zuspitzung erhofft, mehr Szenen, die diese Charade gebrochen hätten.
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Die bestechendste Leistung, die von „Der Passfälscher“ in Erinnerung bleibt, ist denn auch nicht die von Louis Hoffmann, sondern von Nina Gummich als berechnende Blockwartswitwe, die sich am Leid ihres jüdischen Nachbarn bereichert, sich auch noch ständig selbst rechtfertigt. Und in wenigen Szenen eine kollektive Schuld verdichtet.
„Der Passfälscher“ 116 Minuten, ab 6 Jahren, läuft im Abaton, Blankeneser, Koralle, Passage und Zeise