Hamburg. Wenig Worte, kaum Schnickschnack, viel Rock‘n‘Roll: Sänger und Band gehen aufs Ganze. Nur das Ende war sehr abrupt.

Als Billy Idol 2005 das erste Mal im Hamburger Stadtpark auftrat, wurde er von Kritikern vorab noch etwas belächelt. Der letzte Auftritt davor in der Hansestadt zu seinem letzten kommerziell relevanten Album „Charmed Life“ war da bereits 14 Jahre her (mit den Simple Minds im Volksparkstadion), die 90er waren eher eine lange Rekonvaleszenz nach wirklich üblen Eskapaden mit Heroinsucht und Skandalen in den erfolgreichen 80er-Jahren. Aber: Der britische Blond-Rocker lieferte hervorragend ab im Stadtpark – und das von 2005 an nahezu alle zwei Jahre. Wieder und wieder erschallte der „Rebel Yell“ durch Winterhude. Es wurde eine beliebte Tradition für seine zahlreichen Hamburger Fans und die von den umliegenden Gehöften.

Kurz vermisst man das grüne Rund bei Billy Idols Konzert am Donnerstag in der Barclays Arena – in der „Rock’n’Roll City Hamburg“, wie er die Stadt adelt. Auch wenn im Stadtpark schon lange nicht mehr so laut gespielt werden darf wie in der großen Halle. Und dort geht es auch gleich los mit „Dancing With Myself“, „Cradle Of Love“ und „Flesh For Fantasy“. Drei Hits als Auftakt, kann man mal so machen.

Billy Idol in Hamburg: Applaus ist absolut verdient und laut nach jedem Song

Idol muss ja nicht viel Neues vorstellen, das letzte Album „Kings & Queens Of The Underground“ von 2014 hat schon viele Winter gesehen. Immerhin erschien 2021 „The Roadside EP“, auf der Idol mit vier Songs seinen furchtbaren Motorradunfall von 1990 aufarbeitet, gefolgt von der EP „Cage“ vor wenigen Wochen. Beide Platten kommen live ebenfalls zu ihrem Recht, zum Beispiel mit dem brüchigen Midtempo-Rocker „Bitter Taste“.

Der Applaus ist absolut verdient und laut nach jedem Song. Überhaupt erweisen sich Idols zum Großteil mitgereifte Fans als wirklich treu. 7000 sind gekommen, das ist sehr beachtlich in den Zeiten allgemeiner Vorverkaufsflaute. Und obwohl das Konzert von Juli auf Oktober verlegt wurde, sind zumindest in den voll besetzten Reihen im Unterrang kaum so genannte „No Shows“, also bezahlte aber dennoch leer gebliebene Plätze, auszumachen.

Billy Idol: Auch mit 66 noch agil und spielfreudig

Schon als die Vorband, die Glitter-Punkband The Foxies aus Nashville mit der tollen Sängerin Julia Lauren beginnt, sind am T-Shirt-Tresen und an den Getränkeständen lange Schlangen zu beobachten. Man lässt sich nicht lumpen, auch das ist kein alltägliches Bild mehr in diesen Krisenzeiten.

Billy Idol zahlt viel zurück. Es ist immer wieder ermutigend zu sehen, wie agil und spielfreudig Rocksänger auch mit 66 Jahren noch sein können. Idol kann jedenfalls weiterhin ohne Scham bauchfrei Lederjacke und Nietengedöns tragen wie in den 70er-Jahren, als er mit der Band Generation X in der Londoner Punkszene mitmischte.

Und so wie in London 1977 gehen die Herren auch in der Arena aufs Ganze an diesem Abend, dem Songtitel entsprechend wie auf „Speed“. Mit nur kurzen Ansagen und wenig Budenzauber (bis auf eine große Leinwand) wird erdiger Rock‘n‘Roll präsentiert. Die Hauptlast trägt dabei wie immer der treue Gitarrist Steve Stevens, der Idol bereits seit 1981 begleitet. Seine Präsenz und seine Soli halten dem Sänger den Rücken frei und sorgen für Atempausen. Der zweite Gitarrist Billy Morrison, Bassist Stephen McGrath, Schlagzeuger Erik Eldenius und Keyboarder Paul Trudeau sorgen für den musikalischen Unterbau.

Barclays Arena ist zwar kein Tollhaus, aber auch kein Schlafsaal

Den Fans gefällt es. Die entscheidenden Stellen werden mitgesungen, die neuen Lieder gut aufgenommen und Klassiker wie „Eyes Without A Face“ und „Mony Mony“ sind natürlich Selbstläufer. Die Arena ist zwar kein Tollhaus, aber auch kein Schlafsaal. Die Atmosphäre hat die typische bodenständige und gemütliche Kumpeligkeit eines guten Rockkonzerts, und wenn sich Billy Idol dafür bedankt, meint er es offensichtlich ernst. Er marschiert und marschiert, lässt keine seiner lang tradierten Posen aus und treibt das Publikum immer wieder an.

Es geht noch lange nicht auf Mitternacht zu, als alle mit dem „Rebel Yell“ nach „more, more, more“ rufen. Es gibt Rockhymnen, die so oft überall zu hören sind, dass man rausgeworfen wird, wenn man sie im Gitarrenladen anspielt. So wie Led Zeppelins „Stairway To Heaven“, das von Steve Stevens kurz zitiert wird. Aber vielleicht ist das auch nur eine urbane Legende. Der „Rebel Yell“ jedenfalls, diese Signaturnummer von Billy Idol, erweist sich auch an diesem Abend als zeitlos.

Billy Idol: Bei "White Wedding" wird Barclays Arena zum Jubelmeer

Als erste Zugabe hat sich die Band „Born To Lose“ von The Heartbreakers ausgewählt. Wohlgemerkt nicht die Heartbreakers von Tom Petty, sondern von Johnny Thunders. Die New Yorker Band gehörte 1975 zur ersten Punk-Generation, und der Song war bereits öfter im Repertoire vom Patti Smith und den Toten Hosen. Von Billy Idol war der Kracher bis 2021 noch nicht zu hören, eine schöne Überraschung.

Mit „White Wedding“ wird die Arena noch einmal zum Jubelmeer, dann stellt Idol seine Band vor – und das Saallicht geht an, zusammen mit Rausschmeißer-Musik vom Band. Nanu? Das ist ein dramaturgisch etwas zu abruptes Ende eines schönen Konzertabends, das einen ein wenig wie bestellt und nicht abgeholt zurücklässt. Zwar sind 90 Minuten Spielzeit absolut handelsüblich, aber Sänger und Band sind so gut in Form, das mehr wirklich mehr wäre. Das ist allerdings weniger ein Kritikpunkt an der Show, als ein Hinweis darauf, wie gut sie ist.