Hamburg. Sänger füttert ausgehungerte Meute und verwandelt Barclays Arena in Großraumdisco. Gänsehaut kommt auf, der Boden vibriert.
Es gibt sie, die Konzerte, bei denen der Energielevel von Sekunde eins an hoch ist und man sich fragt: Wie soll sich das noch steigern? Und Clueso dreht bei seinem Auftritt am Sonnabend in der Barclays Arena tatsächlich immer weiter auf.
Konzert Hamburg: Lotte tritt vor Clueso auf
Im Vorprogramm spielt übrigens die Berlinerin Lotte, die Clueso bei der neuen Staffel von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ kennengelernt hat. Dort konnte sie Lieder wie Cluesos „Gewinner“ – das sie auch bei dieser Gelegenheit präsentiert – mit ihrer Stimme interpretieren und den Sänger für sich gewinnen. Später kommt sie für die gemeinsame Ballade „Wenn du liebst“ als Zugabe noch einmal auf die Bühne. Ihr Stück „Auf das, was da noch kommt“ ist jedenfalls eine treffende Ankündigung für das Kommende.
Ungeduldig kann das Hamburger Publikum mit Pfiffen und anstimmendem Applaus den Auftritt von dem gebürtigen Erfurter kaum erwarten. Der kommt und sagt „Hallo mit ‘nem Gruß aus der Achterbahn“ – eine gelungene Eröffnung mit Bläsern und großer Band, die mystischen Sound und Reggae zusammenbringt. Die Zuhörer sind von Beginn an voll dabei, schon bei den ersten Tönen brechen sie in tosenden Beifall aus. Binnen von Sekunden stehen auch die Sitzränge und tanzen.
Konzert Hamburg: 7000 Fans bei Clueso
Der ewig 25-Jährige (er ist 42) ist selbst überwältigt von dem großen Empfang. Zuletzt hatte er 2014 in dieser Arena gespielt, begleitet auch von Gaststar und Kumpel Udo Lindenberg. Der ist an diesem Abend nicht auf der Bühne dabei, aber 7000 Fans sind gekommen. Und das, obwohl in Hamburg gerade viel los ist, unter anderem das Reeperbahn Festival: „Schön, dass ihr es trotzdem hierhergeschafft habt.“ Nach jedem Satz von Clueso folgt großer Jubel, die Menge scheint wie ausgehungert.
Die Energie überträgt sich auch auf den Sänger: Wie elektrisiert tanzt und springt er voller Freude über die Bühne und wird getragen von der euphorischen Welle. Immer wieder interagiert Clueso spontan und natürlich mit den Menschen, lacht und schreit gemeinsam mit ihnen. Spätestens mit dem dritten Song „Neuanfang“ sind alle von der ansteckenden Freude und dem verschmitzten Lächeln des Sympathien erfasst. „Lasst es einfach raus!“
Konzert Hamburg: Publikum ist textsicher
Auch ältere Songs wie „Keinen Zentimeter“ treffen den Nerv: Der Sänger spielt mit der Kamera, die das Bühnengeschehen auf die Leinwand überträgt, und greift nach den Händen des Publikums, er „will keinen Zentimeter mehr zwischen uns“. Er genießt es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen, und sonnt sich in der Zuneigung, die aus dem Saal über den Bühnenrand schwappt. Wieder und wieder sorgt das textsichere Publikum für Gänsehautmomente und lässt aus der Arena-Show ein Wohnzimmerkonzertgefühl entstehen.
Während Clueso bei Liedern wie „37 Grad im Paradies“ die Bühne mit Tanz und beinahe kindlicher Freude beherrscht, findet er auch ruhigere Töne: „Der Song kommt aus der Pandemie. Ich habe einfach angefangen zu schreiben, allein, in meiner Wohnung“. Von Fernweh erzählt „Flugmodus“, zu dem gemeinsam mit Teddy ein Video gedreht wurde.
Konzert Hamburg: Clueso biete Newcomern eine Bühne
Mit offenem Herzen und verstärkt durch Tausende Stimmen singt Clueso den Refrain „Komm, lass dich fallen, rückwärts in den Treibsand“ und lässt das Publikum noch weiter dahinschmelzen. Schmelzen gilt auch bei den steigenden Temperaturen in der Halle: „Gefühlt sind wir schon beim zehnten Aufguss.“
Eine Sache, die „Klüsen“ (wie Udo Lindenberg ihn nennt) besonders wichtig ist, ist, die Bühne mit anderen Musikern und Musikerinnen zu teilen. So hat er nicht nur Lotte an diesem Abend zu ihrem ersten Auftritt in einer Arena verholfen, sondern bietet auch dem jungen Künstler Sharaktah die große Gelegenheit. Der Hamburger singt gemeinsam mit Clueso das Lied „Aus dem Weg“ vom neuen Album, das schlicht und einfach „Album“ heißt.
Konzert Hamburg: Clueso vereint Pop, Hip-Hop und Electro
In der Sendung „Sing meinen Song“ gab es das Lied „Tanz aus der Reihe“ von SDP, der „bekanntesten unbekannten Band“, das von Cluesos eigener rebellischen Jugend- und Schulzeit zu handeln scheint. Also wird der Song ein wenig „verklüst“ und vorgetragen. Der ganze Innenraum ist weiterhin in Bewegung und bebt, wippt, springt rauf und runter und tanzt zu den Reggae-Sounds von „Love The People“ aus dem Jahr 2004.
Musikalisch passiert ohnehin viel auf der Bühne: Cluesos Musik vereint seine Anfänge aus der Hip-Hop-Szene mit modernen Electro-Beats und eingängigen Pop-Melodien. Die Live-Arrangements überzeugen vor allem dank der herausragenden Band mit Bass-, Posaunen- und Trompeten-Soli.
Konzert Clueso: "Cello" ohne Lindenberg
Bei dem Hit „Zu schnell vorbei“ trifft Clueso mit seiner Liedzeile das Gefühl des Abends: „Sag mal, wie schnell vergeht schon wieder die Zeit?“ Es ist sehr offensichtlich eines dieser Konzerte, bei denen die Menschen eigentlich die ganze Nacht weitertanzen wollen. Clueso hat noch Zeit, das Publikum hat noch nicht genug. „Also ich kann noch! Wir verstehen uns“ – und weiter geht’s. Der Sänger imitiert Udo Lindenberg und gibt Anekdoten zum Besten. Von der ersten Begegnung im Hotel Atlantic bis zum „MTV Unplugged“-Duett „Cello“.
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Das wird natürlich gespielt, auch wenn Udo nicht da sein kann. Dafür kann Clueso noch mehr Geschichten aus seiner gemeinsamen Zeit mit ihm erzählen. Zum Beispiel aus dem Backstage-Bereich, in dem Clueso und Udo nur von einem Vorhang getrennt waren. Von nebenan hörte Clueso „ist da jemand am Stoff?“ Und zack, durchtrennte Lindenberg mit einem Messer den Vorhang, quetschte sich mitsamt Hut durch den Schlitz und grinste: „Klüsen, Cello, der große Durchbruch und so“.
Konzert Hamburg: Barclays Arena wird zur Disco
In Cluesos spitzbübischem Grinsen spiegeln sich Leichtigkeit und die mitreißende Freude über seine Fans, die er ständig animiert und die ihrerseits artig jeder Aufforderung folgen. In die Hocke gehen, hochspringen, Hände in die Luft heben und tanzen. Den Imperativ „Du musst tanzen!“ trägt dann auch einer der neuen Songs im Titel.
Aus der Arena wird endgültig eine Großraumdisco, bei der der ganze Boden vibriert. Alles wird förmlich überflutet von der Energie des Publikums, die alle gegenseitig durchströmt und berauscht – und nach dem Konzert in die Nacht trägt.