Hamburg. Die in Salzburg gestartete Produktion ist nun auch in Hamburg angekommen – warum sie aber nicht wirklich funktioniert.

Es beginnt wie ein modernes Familiendrama. Rosa Thormeyer sitzt als Iphigenia am Flügel, den sie zumindest theoretisch zu bespielen versteht, neben ihr steht Sebastian Zimmler als ihr Vater Agamemnon, der von einem Notenständer einen Ethik-Vortrag übt. Doch schon bald sieht er sich in der Ebene der eigenen Familie mit Moralfragen über Täter und Opfer konfrontiert – und entblößt einen gnadenlosen Egoismus. „Iphigenia“, jene Klassiker-Überschreibung von Regisseurin Ewelina Marciniak und der Autorin Joanna Bednarcyk ist nach der Premiere bei den koproduzierenden Salzburger Festspielen am Thalia Theater angekommen.

Die bei Euripides und Goethe nachzulesende Mythen-Erzählung ist in der Inszenierung radikal ins Heute der #MeToo-Ära transportiert – Agamemnon opfert nunmehr die Wahrheit über einen langjährigen Missbrauch seiner Tochter durch seinen Bruder, den von Stefan Stern gespielten Menelaos auf dem Altar seines akademischen Erfolges.

Thalia Theater: „Iphigenia“ ist ambitioniert gescheitert

Eine mutige Entscheidung, eine feministische Lesart des Stoffes. Leider geht sie aber nicht auf. An dem Ensemble liegt es nicht, es müht sich redlich, die typenhaften Figuren glaubhaft zu zeichnen. Aber es kann diesen Abend leider auch nicht retten, der im zweiten Teil immer weiter auseinanderdriftet und bei einer recht angestrengt psychologisierenden klischeehaften Familienaufstellung landet. Auch schafft die bemühte Diskurs-Sprache noch keinen eindringlichen Theatertext.

Zu Beginn wird immerhin noch mit Verve fast wie im Boulevardtheater die dysfunktionale Familie vorgeführt. Zimmlers elegant skizzierter Agamemnon scheint vernarrt in die Tochter, liebt vor allem aber den eigenen akademischen Ego-Trip. Seine Ehefrau Klytaimnestra ist bei Christiane von Poelnitz eine klirrend frostige Schauspielerin, die den Missbrauch der Tochter gerne übersieht und sie unbarmherzig über die Macht-Verhältnisse der Körper aufklärt.

„Iphigenia“ am Thalia Theater: auslaugendes Psychogramm

Oda Thormeyer gibt eine sich erinnernde ältere Iphigenia, Rosa Thormeyer die jüngere, die immerhin eine Wandlung von der verzweifelten zur selbstbestimmten Frau durchläuft. Wirklich zwingend ist die Doppel-Besetzung nicht, auch wenn Oda Thormeyer der Rolle am Ende auf einer fernen Insel noch am ehesten Facetten verleiht. Es gibt immerhin einige Schauwerte: expressiven Tanz, ein brennendes Klavier, ein Wasserbecken, einen langen, interessanten Bühnenumbau.

Den Macherinnen geht es offenbar darum, die Traumata der Kindheit bis ins Mark zu sezieren, um sie loszuwerden. Leider wirkt dieses Psychogramm so ausgedörrt wie auslaugend. Ein ambitioniert gescheiterter Abend.

„Iphigenia“ weitere Vorstellungen am 25.9., 15 Uhr, 20.10., 20 Uhr, 22.10., 20 Uhr, 5.11., 20 Uhr, Thalia Theater, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de