Hamburg. Oda und Rosa Thormeyer sind Ensemblemitglieder am Thalia. Beide spielen in dem Stück „Iphigenia“. Wie das funktioniert.

Das Thalia Theater war in diesem Sommer viel unterwegs, gastierte in Avignon und in Salzburg. Oda und Rosa Thormeyer sind Ensemblemitglieder am Thalia – durch die Festspielreise nach Österreich hatten sie viel gemeinsame Mutter-Tochter Zeit. Abseits der Bühne, aber vor allem auf ihr, in „Iphigenia“ der polnischen Regisseurin Ewelina Marciniak („Der Boxer“, „Die Jakobsbücher“), die bei den Salzburger Festspielen ihre eigenwillige Überschreibung dieses Klassikers präsentierte. Eine zeitgenössische, feministische Interpretation des antiken Mythen-Stoffes nach Euripides und Goethe auf Basis eines Textes von Joanna Bednarczyk. Am heutigen Donnerstag ist nun Hamburg-Premiere am Thalia Theater.

Marciniak verlegt das Geschehen in einen modernen Familien-Kosmos und wendet einen Kunstgriff an: Die Figur der Iphigenie ist in ein junges und ein älteres Selbst gesplittet, das sich der Ereignisse erinnert. Die Rolle der Iphigenie ist – naheliegend – mit Mutter und Tochter Thormeyer besetzt.

Theater Hamburg: Beide Frauen spielen Iphigenie

Die Bühne miteinander geteilt haben die beiden schon häufiger: Oda Thormeyer ist seit 2009 im Ensemble, Rosa Thormeyer seit 2019 – aber zum ersten Mal verkörpern sie die gleiche Figur. Im Gespräch ist eine große Nähe spürbar, beide wirken buchstäblich bestens aufeinander eingespielt.

Rosa Thormeyer (links) und Oda Thormeyer in „Iphigenia“.
Rosa Thormeyer (links) und Oda Thormeyer in „Iphigenia“. © Salzburger Festspiele / Krafft Angerer

„Wir haben uns irgendwann ein paar Regeln überlegt, bevor wir hier zusammen engagiert wurden“, erinnert sich Oda Thormeyer. „Für mich ist Rosa meine unglaublich tolle Kollegin. Das ist einfach eine neue Facette der Verbindung, die ich mit ihr habe.“ Und Rosa Thormeyer ergänzt: „Wenn wir über den Beruf sprechen oder eine Probe zusammen haben, dann reden wir nicht über Privates. Das passiert ganz automatisch. Wir sind uns privat sehr nah, und nun sind wir uns auch noch durch den Beruf nah, aber das ist alles ganz natürlich.“

„Du hast mir gesagt, mach es bloß nicht“

Dass Rosa Thormeyer denselben Beruf wie ihre Mutter ergreifen würde, stand ­dabei keineswegs schon immer fest. „Du hast mir gesagt, mach es bloß nicht“, lacht Rosa Thormeyer. Dass sie es dennoch ­ausprobierte, war naheliegend, sie kannte es ja von zu Hause. Ihre Mutter hingegen wollte der Tochter eigentlich die Chance geben, auch andere Dinge im Leben zu ­erfahren. „Theater ist ja schon sehr ­vereinnahmend. Aber im Jugendclub warst du so großartig, dass ich nichts dagegen sagen konnte“, sagt Oda Thormeyer mit einem Lächeln und schaut ihre Tochter an.

Jetzt freuen sich beide, wenn sie miteinander arbeiten können. Hemmungen, sich gegenseitig zu helfen oder auch mal zu kritisieren, kennen sie nicht. Dieser Teamgeist, den glaubhaft kein Konkurrenzdenken trübt, hat sich auch in den Proben zu „Iphigenia“ bewährt. „Wir alle haben das Problem, dass wir unserem Erfolg die Wahrheit unterordnen. Und manchmal so weit gehen, dass wir uns nahestehende Menschen ‚opfern‘, sogar unsere Kinder“, sagt Oda Thormeyer ernst.

Iphigenie im Kampf gegen sexuelle Übergriffe

Geopfert wird in dem Stück auf jeden Fall einiges. Iphigenie befindet sich im Kampf gegen sexuelle Übergriffe durch ihren Onkel Menelaos. Und ringt zugleich mit weiteren komplizierten Familienstrukturen – sie selbst ist eine hochbegabte Pianistin, der Vater Ethikprofessor, unterwegs auf einer steilen Karriereleiter.

„Ich finde es interessant, dass diese Figur in­stinktiv versucht, sich daraus zu befreien“, so Oda Thormeyer. Ihre Tochter erkennt darin eine hochaktuelle Thematik. „Als junge Frau geht man jeden Tag damit um, einen Spruch zu bekommen. Man könnte schweigen und denken, ist doch egal, aber jeder kleine Schritt ist einer in Richtung Veränderung. Es steckt ein starker Moment von Selbstermächtigung in diesem Abend.“

„Er ist nicht einfach, dieser Text, aber er ist tief"

Für ihre Textüberschreibung hat Autorin Joanna Bednarczyk in Salzburg nicht nur Applaus bekommen. „Er ist nicht einfach, dieser Text, aber er ist tief und toll“, findet Rosa Thormeyer. Oda Thormeyer räumt ein, dass man schon ringen müsse, um ihn zum Klingen zu bringen. In Salzburg hat die Inszenierung durchaus polarisiert. Es gab Buhrufe, aber auch Bravos. „Ich finde das super, denn das ist genau das Thema. Aber es war schon heftig“, erinnert sich Rosa Thormeyer.

In Salzburg hatten Mutter und Tochter dennoch eine gute Zeit mit dem Ensem­ble. Wie in einem Zeltlager sei die Stimmung gewesen, mit gemeinsamen Wanderungen und Abendessen. Für Rosa Thormeyer ist es bereits die fünfte gemeinsame Arbeit mit der Regisseurin. „Ewelina Marciniak ist jemand, der einen sehr fordert, auch emotional. Ich wäre an viele Punkte als Schauspielerin ohne sie nicht gekommen. Sie nimmt einen mit in ihre Fantasien und weiß total, was sie will“, sagt sie.

„Wir erzählen im ersten Teil das Trauma"

„Wir erzählen im ersten Teil das Trauma. Dann beginnt die Hölle für diese Frau, weil die Familie nicht angemessen reagiert. Iphigenie opfert ihre Kunst und die Liebe zu Achilles. 20 Jahre später erkennt sie, dass sie noch immer mit dem Trauma lebt, und versucht, es gehen zu lassen.“

Auch Oda Thormeyer hat intensive Erinnerungen an die Salzburger Festival-Zeit. Eine Zuschauerin kam hinterher auf sie zu, bedankte sich unter Tränen dafür, dass sie aufgrund dieses Theaterbesuchs eine eigene Erfahrung ein Stück weit hinter sich lassen konnte. „Am Ende kann Iphigenie sagen, ich lasse mein altes Ego dort, und ich gehe. Wir müssen nicht unser Leben lang an unseren Traumata festhalten“, so Oda Thormeyer.

Theater Hamburg: Mutter und Tochter leben in Altona

Verbunden sind Mutter und Tochter nicht nur im Stadtteil (beide leben in Altona), sondern auch im gemeinsamen Antrieb des Spiels. Es stecke mehr darin, als mit dem Ensemble eine aktuelle Geschichte zu erzählen, findet Rosa Thormeyer: „Es geht auch um die Chance, etwas zu erkennen, etwas loszulassen, sich nicht allein zu fühlen.“ Das Wichtigste aber, das sei immer die Begegnung mit dem Publikum.

„Iphigenia“ Hamburg-Premiere 22.9., 19 Uhr, weitere Vorstellungen 23.9., 19.30 Uhr, 25.9., 15 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de