Hamburg. Das Projekt „St. Georg – en Eiland“ von Ohnsorg-Studio und Geschichtswerkstatt ist ein Mix aus Theater, Musik und Hörspiel.

Seit elf Jahren steht das Ohnsorg-Theater am Heidi-Kabel-Platz in St. Georg. Noch mehr zu erzählen als über die 130 Jahre alte Bühne gibt es allerdings über den Stadtteil, der längst Spiegelbild des urbanen Lebens ist, Mitte des 19. Jahrhunderts aber noch eine Vorstadt Hamburgs war. Anlass für das Ohnsorg-Studio, in Kooperation mit der Geschichtswerkstatt des Stadtteils unter dem Titel „St. Georg – en Eiland“ einen theatralen Rundgang mit Audiowalk auf die Beine zu stellen – eine Premiere mit kleinen Unwägbarkeiten und Widrigkeiten.

Auch ohne den spielt sich an einem nasskalten September-Sonnabendabend wie diesem auf den Straßen und Plätzen des nur 1,8 Quadratkilometer großen Stadtteils in Hauptbahnhof-Nähe mit seinen 11.300 Einwohnern genug ab. Dank der vom Theater ausgegebenen Kopfhörer tauchen die rund 20 Teilnehmer nun in ein Hörspiel ein, gesprochen auf Platt- und Hochdeutsch von einem Teil des Ohnsorg-Ensembles. Katrin Brodale, sonst Chef-Inspizientin im Großen Haus, fungiert bei der kleinen Reise durchs Viertel in pinkfarbener Weste – mit Verlaub – als wandelnder Sendemast, zwei Kolleginnen in gelben Warnwesten sehen zu, dass auch jeder Schritt halten kann.

Ohnsorg: St. Georg entdecken – mit Schauspielern im Ohr

Inhaltlich ist das gar nicht so leicht, während es in der nahenden Dunkelheit mit der Gruppe durch den Stadtteil geht. Dialoge und Anweisungen der Schauspielprofis wechseln mit O-Tönen von fast 25 Bürgerinnen und Bürgern St. Georgs, die Michael Uhl für sein neues ungewöhnliches Projekt befragt hat. Der Regisseur, spezialisiert auf narrative Recherche, hatte schon in seinen Stücken „Tallymann un Schutenschubser“ (im Schuppen 50A mit früheren Hafenarbeitern) und „Ankamen - Angekommen“ (mit Vertriebenen und Geflüchteten im Ohnsorg-Studio)) das Thema Heimat historisch-feinfühlig erzählt.

„St. Georg – en Eiland“ aber ist umfassender, herausfordernder für alle Beteiligten. So wie der Stadtteil in seiner Vielschichtigkeit mit seinen Menschen aus nah und fern, alt und jung, homo und hetero. Beim Gang über den Spadenteich, die Koppel und die Lange Reihe, heute zur Hälfte von Cafés und Lokalen gesäumt, gilt es, einem Junggesellinnen-Abschied (die meisten Frauen in Pink) zu ignorieren, ehe am Carl-von-Ossietzky-Platz auch an die dunkle Nazi-Zeit und den im Stadtteil aufgewachsenen Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger sowie weitere Nazi-Opfer aus St. Georg erinnert wird. Schauspieler und Musiker Jonathan Wolters, zuvor bereits zweimal mit Gitarre und als Unterhalter präsent, untermalt das traurige Kapitel auf dem Platz gekonnt mit Klarinettenspiel.

„St. Georg – en Eiland“: 90 Minuten Rundgang durch den Stadtteil

Nach dem Gang durch die Soester Straße mit teuren Neubauten als Sinnbild für das von Bürgern beschriebene Thema „Gentrifikation“ zeigt sich das ebenso an einem fast leer stehenden alten Häuserkomplex der Danziger Straße. Jedoch hat Wolters Mühe, gegen eine Band auf dem Vorplatz des Doms St. Marien durchzudringen – die „Nacht der Kirchen“ läuft.

Ruhiger geht es nach Überqueren des Steindamms beim Gang durch die Böckmannstraße zu: seit 1977 Sitz der von türkischen Gastarbeitern im früheren Hammonia-Bad gegründeten Centrum-Moschee Hamburg, aber auch seit 1931 Standort des traditionsreichen Herrenausstatters Policke. Der Pulverteich beherbergt seit Jahrzehnten Hotellerie und Prostitution gleichermaßen, erfährt man, ehe die Gruppe nach gut 90 Minuten am Ende auf dem Hansaplatz in die Überwachungskameras winkt. Zwei patrouillierende Polizeiwagen und ein nahender Notarztwagen lassen einen in der Realität ankommen. Auch das ist St. Georg.

Mehr als 800 Jahre alt ist er, ein Stadtteil zwischen Erlebnis und Elend, Toleranz, Widerspruch und im stetigen Wandel, jedoch mit Seele. „Wir müssen es schaffen, diese Mische zu erhalten“, sagt ein Anwohner während des Audiowalks. Der Stadtteil ist wahrlich nicht nur eine Insel der Glückseligen. Etwas weniger Input vonseiten des Regisseurs hätte auch zu dieser Erkenntnis geführt.

„St. Georg – en Eiland“ wieder So 18.9. u. Do 22.9., jew. 19.00, bis 16.10., Startpunkt Theaterkasse Ohnsorg (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 26,-: T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de