Hamburg. Das Musical von Andrew Lippa ist mitreißend – aber die Geschichten um die Familie Addams funktionieren nur, wenn sie böse ist.

  • "The Addams Family" im Altonaer Theater überzeugt mit guter Musik, lässt aber einiges vermissen.
  • Die Inszenierung der "Addams Family" hat spannende Schauspieler zur Verfügung.
  • Doch: „The Addams Family“ ist am Ende genau die biedere Familienkomödie, die ihr ursprünglicher Schöpfer Addams eigentlich aufs Korn genommen hatte.

Die Addams. Eigentlich ist das eine ganz normale Familie: Jeder versucht, seinem Gegenüber das Leben möglichst schön zu machen, und gleichzeitig ein gewisses Maß an individueller Selbstbestimmung zu wahren. Nur ist das nicht so leicht, wenn die Kinder vor allem Folter miteinander spielen und die Eltern sich in erster Linie an „Dunkelheit, Gram und aussprechlichem Leid“ erfreuen. Familie Addams ist die dunkle Rückseite der US-amerikanischen Familienideologie, eine Familie, die durchzogen ist von Depression, Sarkasmus und Perversion: „Du bist ein Addams / Wenn du die Regeln ignorierst!“

„The Addams Family“: Cartoonserie, die zum Musical umgearbeitet wurde

Ursprünglich hatte der Zeichner Charles Addams (!) das Figurentableau in den 1930ern als Cartoonserie für den „New Yorker“ entworfen, 2009 arbeitete Andrew Lippa die Vorlage nach einem Buch von Marshall Brickman und Rick Elice zu einem Musical um, das jetzt in der Regie von Franz-Joseph Dieken als Übernahme von den Burgfestspielen Jagsthausen am Altonaer Theater zu sehen ist. Kein leichtes Unterfangen: Addams’ Cartoons erzählen keine Geschichte, sondern sind auf den schnellen Gag hin geschrieben, Lippa muss allerdings zwei Stunden füllen.

Weswegen sein Stück die Story von Tochter Wednesday Addams (Alice Wittmer) erzählt, die aus ihrer Outsider-Familie ausbrechen will und sich in den Spießersohn Lucas Beineke (Michael Berres) verliebt – was emotionale Verwerfungen sowohl unter den Eltern Beineke als auch in der Familie Addams nach sich zieht.

Bei der Premiere in Chicago hagelte es negative Kritiken

Bei der Premiere in Chicago und später am Broadway erntete Lippas Musical weitgehend negative Kritiken, wobei diese sich vor allem auf die Handlung bezogen: Die sei unfokussiert, und die Persönlichkeiten entwickelten sich unlogisch. Nichtsdestotrotz, die Show war ein Erfolg, was auch an Lippas Kompositionen gelegen haben dürfte, die nicht den einfachen Ausweg ins Düstere suchen, sondern mit originellen Klangfarben überraschen, Swing, Samba, Vaudeville, Tango etwa. Da lässt sich also was draus machen – „wenn du die Regeln ignorierst!“

Auch im Altonaer Theater reißen die Songs mit, selbst wenn Dieken die Musik hier vom Band abspielt (und dabei in den ersten Minuten der Premiere auch noch mit Klangproblemen zu kämpfen hat).

Schauspieler wollen etwas von ihren Figuren, bekommen es aber nicht

Und: Die Inszenierung hat spannende Schauspieler zur Verfügung, Olaf Meyer, der Familienvater Gomez mit iberischer Grandezza auflädt, Valerija Laubach, die die Matriarchin Morticia immer hübsch am Rande des Abgrunds tänzeln lässt.

Sogar ein Fernsehgesicht wie das von Pierre Sanoussi-Bliss legt in den Spießervater Mal Beineke eine Tiefe, die man bei dieser Rolle nicht erwartet hätte (und die Besetzung mit dem dunkelhäutigen Sanoussi-Bliss ist darüber hinaus ein gelungenes Beispiel für „colourblind casting“). Da gewinnt der rund zweieinhalbstündige Abend an Charme, weil man spürt, dass die Schauspieler etwas von ihren Figuren wollen.

„The Addams Family“ ist am Ende eine biedere Familienkomödie

Nur bekommen sie das meistens nicht. Die Geschichten um die Familie Addams funktionieren nur, wenn die Familie böse ist; hier aber sind alle nett, und „The Addams Family“ ist am Ende genau die biedere Familienkomödie, die ihr ursprünglicher Schöpfer Addams eigentlich aufs Korn genommen hatte.

Die Regie arbeitet sich konsequent an der Vorlage entlang und hält sich mit eigenen inhaltlichen Ambitionen vornehm zurück, einzig dass Vater Beineke die Addams einmal als „linksversiffte, spanische Spinner“ tituliert, ist ein Hinweis darauf, dass sich hinter den Vorbehalten des Spießers gegenüber den Außenseitern auch eine politische Brisanz versteckt. Wenn man so will, kann man das als Positionierung sehen, die dem Abend ansonsten fehlt.

„The Addams Family“: Applaus ist bemerkenswert

Dabei bieten die Songs Gelegenheiten zum Ausbruch aus der Konvention: „Geheimnisse“ hat als schroffer Tango eine gewisse Fallhöhe, „Der Tod steht um die Ecke“ könnte sinistrer Swing sein, ein bisschen mehr Mut zur Schrägheit und zum Dreck würde hier eine zweite Ebene einziehen. In den Arrangements von Andreas Binder ist jedoch davon nichts zu hören.

Immerhin: Martin Markert darf als Onkel Fester seinen Songs einen leichten Camp-Anstrich geben, davon abgesehen bleibt hier alles ziemlich brav. Wenn Gomez am Ende beklagt, dass sich „eine harmlose Dinnerparty in eine Höllennacht verwandelt“ habe, dann fragt man sich, was er eigentlich erlebt hat. Keine Perversion, keine Hölle, gar nichts.

Das überraschend junge, teils selbst im Gothic-Outfit angetretene Publikum freilich zeigt sich zufrieden von der Premiere: Der Applaus ist durchaus bemerkenswert. Und es stimmt ja auch, man darf hier tatsächlich zufrieden sein: Die Schauspieler sind engagiert, die Musik hat was. Aber es ist doch schade, weil man spürt, dass mehr in diesem Abend drin gewesen wäre.

„The Addams Family“ bis 16., 17., 18., 22., 23., 24., 25., 28., 29., 30. September, 1. Oktober, Sonntags 18 Uhr, sonst 19.30 Uhr, Altonaer Theater, Museumstraße 17, Tickets unter 39905870, www.altonaer-theater.de