Kiel. Der Abschluss des Schleswig-Holstein Musik Festivals war eine konzertante Aufführung von „Porgy and Bess“ mit dem NDR-Orchester.
Schön ist das nicht. Da wird man als NDR Elbphilharmonie Orchester tatsächlich vom Lucerne Festival eingeladen, zu einer der allerersten Adressen der Klassik-Welt, und das mit Gershwins „Porgy and Bess“ als hart erarbeitete Visitenkarte für das eigene Können und Wollen der letzten Jahre mit seinem Chefdirigenten Alan Gilbert. Der kommt in diesem Job eher selten dazu, in Hamburg Oper zu dirigieren, und szenisch schon gleich gar nicht.
Der Konzertsaal dort, das KKL direkt am Vierwaldstättersee, hat eine Akustik zum Niederknien und das entsprechende Renommee bei Orchestern, Dirigenten und Solisten. Vom Feinsten, so ein Gastspiel. Aber nur eine schnelle Rückreise und zwei Abende später wacht man in einer Kieler Mehrzweckhalle, die besonders gern für Handball-Spiele genutzt wird, aus diesem kurzen tollen Traum jäh wieder auf. Die Akustik dort, durch Lautsprecher-Büschel über der Bühne neben zwei Video-Bildschirmen in die Halle gehallt? Es gab eine. Stellenweise vielleicht aber auch zwei.
Konzertkritik: Handicaps Beteiligten nicht anzusehen
Man darf als Orchester mit Ambitionen wohl nicht immer wählerisch sein, wenn man jeden Sommer wieder dem Schleswig-Holstein Musik Festival für seinen Ausklang gern ein NDR-Konzert zu schenken hat. Und aus einer bühnennahen Parkettreihe heraus ließ sich nur vermuten, wie viel vom (nicht übertitelten) gesungenen Text und anderen Details im hinteren Teil der Wunderino Arena, der Kiste formerly known as Ostseehalle, noch angekommen sein mag.
Der guten Stimmung aller Beteiligten – tolle, mächtige, strahlende Stimmen, bis in die Nebenrollen hinein – waren diese Handicaps allerdings nicht weder anzusehen noch anzuhören. Die viele Spielfreude, die das Ensemble bei dieser konzertanten Version hatte, konnte nur auf dem schmalen Streifen zwischen Orchester und Bühnenkante als Catfish Row-Ersatz ansatzweise ausgelebt werden. Den Rest des Dramas um eine tragische Liebe im Hafenviertel von Charleston musste sich das Publikum dazudenken.
„Porgy“ hatte viele Asse im Ärmel
Dieser „Porgy“ hatte gleich mehrere Asse im Ärmel. Eines war Gilbert, der diesen Klassiker so gekonnt lässig herunterschlenzte, als sei er hinter der Bühne eines Musical-Theaters am Broadway und nicht unter New Yorker Philharmonikern groß geworden. Puccini mit Blue Notes, in jenen Passagen, die Handlung vorantrieben und Schicksale ausbreiteten. Weit und breit war in seinem Orchester nichts zu hören von dieser teutonisch verbeamteten Swing-Ferne, mit der untrainierte Klangkörper Gershwin in Grund und Boden verfehlen können. Kein Fremdeln, keine Annäherungsprobleme an dieses Vokabular, bei dem man mit klassischer Geradlinigkeit nicht weit kommt, weil das sofort den Swing abwürgt. Auch das NDR Vokalensemble, durch Gäste vom Fach verstärkt, machte sich erfreulich locker.
Und dann erst der Cast: Golda Schultz holte als Clara mit sensationell leuchtender Intensität das Bestmögliche aus ihrem kurzen Hit-Auftritt mit „Summertime“. Elizabeth Llewellyn war als Bess eine tragische Heldin, deren Stimme einen Goldrahmen verdient hätte. Chauncey Packer machte als Drogendealer-Schlitzohr Sportin’ Life mit dessen „It Ain’t Necessarily So“ ein leckeres unmoralisches Angebot, doch ruhig mal ein Näschen seines Spaßverstärker-Sortiments zu nehmen.
Konzertkritik: „Porgy“-Version mit neuer Besetzung
Alles und jeden überragte und übertönte aber eindeutig Morris Robinson als Porgy. Eine Stimme für drei, ein Kraftpaket, das sich vor einigen Monaten bei seinem kurzen Auftritt als Sprecher in Coplands „Lincoln Portrait“ bei einem NDR-Konzert in der Elbphilharmonie schon erahnen ließ.
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Wer an diesem eigenartigen, heftig gefeierten Abend in Kiel nicht dabei war, hat also einerseits ziemlich viel, aber auch wenig verpasst. Und andererseits die Chance, diese „Porgy“-Version ein weiteres Mal zu hören: Ende Mai 2023 wird sie – aber mit anderer Besetzung – im Großen Saal der Elbphilharmonie von Gilbert und seinem Orchester als Heimspiel wiederholt. Das könnte dann wirklich schön sein.
CD-Tipp: Golda Schultz „This Be Her Verse“ (alpha, ca. 19 Euro).