Hamburg. Die lange in Hamburg lebende Autorin Leona Stahlmann besucht in ihrem Roman eine bald unbewohnbare Welt. Ist das ein Klimaporno?
Wenn man dieser Tage von der Zukunft erzählen will, einer Zukunft, die keine Science Fiction ist, sondern so real wie ausgetrocknete Flüsse in Mitteleuropa, ja: dann muss man von der Natur erzählen, vom Klima. Romane, die in der nahen Zukunft spielen, sind notwendigerweise auf Erkennbarkeit aus; sie sind keine Märchen, sondern schrecklich in ihren Spekulationen das betreffend, was, insgesamt, als nicht abwendbar erscheint.
In Leona Stahlmanns die negativen Szenarien der Klimaforscher vollendendem, neuem Roman „Diese ganzen belanglosen Wunder“ steht früh folgender Satz: „In dem Sommer, als Leda im neunten Monat schwanger war, titelten die Zeitungen zum ersten Mal das Überschreiten der Thermometeranzeige bei siebenundvierzig Grad.“ Wetterphänomene wie den Planeten verdorrende Hitze und starke Regenfälle sind normal geworden. Was nach Sommer riechen mag, ist der Odeur der Apokalypse. Die Menschheit weiß, dass ihre Tage gezählt sind. Die Frage ist, wie man ohne Hoffnung weiterleben kann.
Leona Stahlmann erzählt vom Später, das kaputt gemacht wurde
Leda und ihr zwölfjähriger Sohn Zeno sind an den Rand der Zivilisation gezogen, oder zumindest von dort weg, wo viele Menschen wohnen. In diesem Fall in einen nicht näher definierten Norden, in die dortige Marschlandschaft. An eine Flussbiegung, auf das Gelände einer stillgelegten Saline. Wenn Zeno in die Schule geht, ist der Weg lang.
Einkaufen müssen Mutter und Sohn nicht allzu oft, sie sind Selbstversorger. Die Mutter kapituliert vor der Aufgabe, ihren Sohn anzuleiten; aber sie weiß, wie sie ihn verraten hat. „Ich und die anderen, wir haben dir das Später kaputt gemacht“, sagt sie einmal. Weil das als Totalurteil jede Elternschaft entwertet, lässt sie bei aller Liebe zum Sohn die Fürsorge schleifen. Verschwindet immer länger, irgendwann ganz.
Ein Roman der puren Gegenwart?
Ihr Sohn bringt sich Überlebenstechniken selbst bei. Verkauft gefaktes Salz an Touristen zum Beispiel. Ausflüge in dichter besiedelte Gegenden hat er ohne Wissen der Mutter länger schon gemacht. Mit der Neugierde des Heranwachsenden und einer Klugheit, die älter ist als er selbst, knüpft er digitale Kontakte. Dating-Apps sind sein Ausgang in die Welt außerhalb der stillgelegten Saline. Verzweiflung hinsichtlich des Zustands der Welt kennt er nicht, weil er ohne Hitze nie gelebt hat.
Wir erleben gerade einen außergewöhnlich heißen Sommer. Nur die Sturzbäche fehlen, zu trocken wäre es auch mit ihnen. Wie sollte man also „Diese ganzen belanglosen Wunder“ nicht für den Roman der puren Gegenwart halten? Mehr noch als die vielen anderen Bücher zum Thema, in denen implizit und explizit vom Klimawandel die Rede ist. Schon bald erscheint zum Beispiel Ulla Hahns neuer Roman „Tage in Vitopia“, in dem es die Tiere sind, die die Menschen anklagen und zur Umkehr bewegen wollen.
Leona Stahlmann zog von Hamburg nach Bayern
Hahns jüngere Kollegin Leona Stahlmann, Jahrgang 1988, ist kürzlich mit ihrer Familie aus Hamburg aufs Land gezogen, nach Bayern. Dort wird die Schriftstellerin, deren imposantes Debüt „Der Defekt“ mit den Themen Identität und Sexualität, Anderssein und Sadomaso im Jahr 2020 erschien, viel Anschauungsmaterial für ihr Schreiben finden. Stahlmann ist eine Stilistin, eine Autorin mit machtvollem Zugriff auf die Wörter. Sie betreibt Nature Writing, aber so problematisch wie in der (Noch-)Fiktion dürften bajuwarische Rural-Umgebungen noch längst nicht sein.
In Hamburg organisierte Stahlmann eine feministische Literaturbühne namens „Poetisches Damentennis“, was allein namentlich einen gewissen Witz verrät. Einen leisen Humor kann man auch ihrem zweiten Roman attestieren, er manifestiert sich in Zeno und seiner Haltung zur Welt. Er nimmt sie, wie sie ist, und gewinnt ihr das ab, was des Lebens wert ist.
Die Voraussetzungen sind katastrophal, aber er kommt mit ihnen besser zurecht als die anderen: „Es wird so schnell heiß auf dem Gelände, dass wir stöhnen, wenn wir am Mittag das Haus verlassen müssen, abseits der Walnüsse und Maulbeeren hinter dem Haus gibt es keinen Schatten bis zum Fluss, und die Maisonne wird schon vormittags prall und unausweichlich, scheint sich über den Tag ausgehend von den hartgetrockneten Böden der Marsch zu verstärken wie ein Echo, zurückgeworfen vom Weiß des Salzes und von der spiegelnden Oberfläche der Blanken Elle, die glatt daliegt wie ein See. Ich habe meinen Weg in das Gelände gegraben, und jetzt bahnt sich die Marsch ihre Wege durch mich. Während Zeno die Sonne und die Salzluft, die wie Schmirgelpapier über die Schleimhäute geht, überhaupt nichts auszumachen scheinen, backen wir anderen an den Abenden, wenn die Besucher in den zischenden Mäulern der Reisebusse verschwunden sind, mit den trockenen Böden fest.“
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Die zitierte Stelle ist aus dem zweiten Teil dieses dicht gewebten Romans, als sich in der Marsch um Zeno herum eine Aussteigerclique gesammelt hat. Erzählt wird nun aus der Perspektive Katts, einer Städterin, die nach einer gescheiterten Liebe zu Zeno kam, sie wusste ja nicht, dass er erst zwölf ist. Stahlmann beschreibt in präzisen, emotionslosen Sätzen, wie die Lebensgemeinschaft so dahinlebt im Angesicht des Endes der Menschheit.
Venedig gibt es nicht mehr, und Katt erinnert sich an die moralisch schwache Formel der Menschen in den Breitengraden, in denen auch sie zu Hause ist: „Wir hatten uns an den Rändern der Katastrophe gut eingerichtet. Wir wussten, dass es uns nicht zuerst erwischen würde.“
Ein Roman als Klimaporno?
Ignoranten könnten sagen, dies („Die Sommerferien sind lang, und den Städtern verbrennen die Reiseziele, jenseits der Alpen trägt man Gesichtsmasken gegen den Rauch und wird nicht mehr braun, und es brennen in Griechenland, Italien, Frankreich die Felder und die Wälder, dabei ist die einzige Aussicht, die wir noch ertragen können, der freie Blick auf Pelztiere in so angenehm gedeckten Farben, Hasen, Füchse, feuchte Igelschnauzen, aber sie verbrennen mit den Wäldern“) sei ein Klimaporno. Und der Roman gewordene Alarmismus von Fridays for Future. Aber informierte Menschen wissen: Es gibt keinen Alarmismus, wenn es um die Rettung des Planeten geht.
„Diese ganzen belanglosen Wunder“ ist ein sprachliches Kunstwerk, offenbart einen wortgewaltigen Blick auf die Menschen in ihrem natürlichen Lebensumfeld, während dieses gegen die ihm zuteilwerdende Behandlung rebelliert. Stahlmann hat originelle Figuren gefunden, um von unserer Apokalypse zu erzählen. Am Ende kommt Wilhelm Reich ins Spiel, und man hat Kate Bushs Lied „Cloudbusting“ im Ohr. Das als popkultureller Hinweis auf ein mögliches Happy End.