Hamburg. Das Ukrainian Freedom Orchestra spielte in der Elbphilharmonie vor sichtlich bewegtem Publikum. Selenskyj schickte eine Botschaft.

Dass dies kein normales Konzert ist, zeigt schon ein kurzer Blick ins Programmheft: Das Grußwort kommt von Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj, abgebildet ist er in militärischem T-Shirt und mit ernstem Blick – wie sollte es auch anders sein angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der schon so viele Menschenleben gefordert hat?

Geführt wird dieser Krieg nicht nur von Soldatinnen und Soldaten, in gewisser Weise an der Front stehen auch Künstlerinnen und Künstler, etwa die, die sich im Ukrainian Freedom Orchestra versammelt haben, das auf Initiative der Metropolitan Opera in New York und der Polish National Opera in Warschau entstanden ist.

Ukrainian Freedom Orchestra in Elbphilharmonie: Grußwort von Selenskyj

Hier haben unter anderem geflüchtete Musikerinnen und Musiker aus Kiew, Lwiw, Charkiw und Odessa zusammengefunden, um dem „Vernichtungskrieg gegen das ukrainische Volk“, wie Selenskyj es in seinem Grußwort auf den Punkt bringt, künstlerisch etwas entgegen zu setzen. Die Konzerte der laufenden Tour durch Europa und die USA seien allen gewidmet, „die gegen den Feind kämpfen, die ihr Leben für die Ukraine geopfert haben, und all den unschuldigen Opfern dieses furchtbaren Krieges“.

Wie sehr das Publikum im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie, darunter viele Ukrainerinnen und Ukrainer, hinter diesem Gedanken steht, zeigt schon der ungewöhnlich lang anhaltende Applaus als das Orchester auf die Bühne kommt, die blau-gelb angestrahlt wird. Und der erste Programmpunkt setzt dann auch gleich ein Ausrufezeichen: Valentin Silvestrov (84), dessen 7. Sinfonie gespielt wird, ist vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet. Sein Werk, das sich vom melancholisch-nostalgischen Sehnen zu einer finale Todesahnung entwickelt, bei der die Töne immer weiter verebben, sorgt für Beklemmung.

Die löst sich bei Chopins 2. Klavierkonzert, das Anna Fedorova mit großer Innigkeit spielt ohne dabei je ihre Virtuosität in den Vordergrund zu rücken; sie ist im wahrsten Sinne eine „Dienerin des Werkes“, ebenso wie Dirigentin Keri-Lynn Wilson, die den ganzen Abend konzentriert und unaufgeregt die Zügel in der Hand hält.

Elbphilharmonie: Bei ukrainischer Nationalhymne ist Publikum sichtlich bewegt

Nach der Pause dann zunächst die „Arie der Leonore“ aus Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“, gesungen von Liudmyla Monastyrska. „Komm Hoffnung / Lass den letzten Stern /Der Müden nicht erbleichen / O komm, erhell’ mein Ziel / Sei’s noch so fern /Die Liebe, sie wird’s erreichen“, heißt es da. Wie aktuell diese mehr als 200 Jahre alten Zeilen doch sind …

Johannes Brahms’ 4. Sinfonie ist der offizielle Schlusspunkt, aber natürlich muss danach noch etwas kommen: Die ukrainische Nationalhymne, in einer geradezu romantischen Bearbeitung, bei der sich das gesamte Publikum erhebt und die Musikerinnen und Musiker sichtlich bewegt sind.

Umhüllt von ukrainischen Flaggen stehen auch Anna Fedorova und Liudmyla Monastyrska auf der Bühne, und der donnernde Applaus endet selbst dann noch nicht, als die Orchestermitglieder ihre Noten zusammenpacken und langsam den Saal verlassen. Man mag das für eine eher hilflose Geste der Solidarität halten, aber sie kommt an diesem lauen Hamburger Sonnabendabend spürbar von Herzen.