Hamburg. Autorin Tamar Noort stellt in ihrem Debütroman „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ die Glaubensfrage. Dieses Buch verdient viele Leser.

Die Kirche sackt herab, da gibt es kein Vertun. Könnte ein Wasserschaden sein. Oder halt der Zorn Gottes. Oder, im übertragenen Sinn, der Status quo bei Elke. Die ist um die 30 Jahre alt und hat die große Sinnkrise. Jetzt tritt sie endlich, endlich in ihres Vaters Fußstapfen, übernimmt dessen Gemeinde. Aber die Messe gelesen ist trotzdem noch nicht: Wird sie zurück zu Gott finden?

Die in Göttingen geborene, in den Niederlanden aufgewachsene und nun in der Nähe von Lüneburg lebende Autorin Tamar Noort stellt in ihrem Debütroman „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ die Glaubensfrage: Ein überraschendes, ein gleichzeitig logisches Thema in einer Gesellschaft, in der Religion eine wesentlich geringere Rolle spielt als noch zu anderen Zeiten. In einem behutsamen literarischen Versuchsaufbau schaut Noort, Jahrgang 1976, sich das an, was passiert, wenn einer junge Frau die Grundlage ihres Berufs abhandenkommt.

Buchkritik: Noorts Figur leidet unter „Gott-Demenz“

Was ja, siehe die gesellschaftliche Großwetterlage, eine Zuspitzung ist. Die Hirtin selbst als Zweifelnde, das ist ein Ding. Und so sorgt Elke für reichlich Unmut in ihrer Kölner Gemeinde, als sie einen Job als Seelsorgerin dramatisch versaut. Im Altenheim soll sie einer Sterbenden das „Vater unser“ beten, aber dann, was für ein Fauxpas, ist der Text weg. Nicht einfach so wie bei einer Schauspielerin, das wäre ein Fiasko anderer Art – wenn sie als Abgesandte der Kirche zwischendurch schauspielern müsste.

Nein, Elke hat ganz grundsätzlich ihren Text vergessen. Er kommt zunächst nicht wieder. Elke hat ein Problem, nicht nur mit dem Pastor ihrer Gemeinde, der große Hoffnungen in sie setzte. Und mit ihrem Selbstbild und allen Plänen, die sie für die Zukunft hatte. Sie leidet, wie Elke bei sich selbst diagnostiziert, unter „Gott-Demenz“.

Noorts Debüt mit fantasievollen Wendungen

Und die muss sie bewältigen, um überhaupt weiterzumachen. Mit allem. Muss sich selbst neu definieren, neu erfinden. „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ ist also ein klassischer Entwicklungsroman, in dem die Protagonistin von halbwegs sicherem auf schwankenden Grund gerät und anschließend, das sei verraten, zur Reife gelangt. Dabei erzählt die, überdeutliche literarische Bilder hin oder her, unaufdringlich durch ihr Thema navigierende Autorin Tamar Noort zusätzlich eine Familien- und eine Beziehungsgeschichte. Denn Elke, die aus der norddeutschen Provinz stammt, hatte schon vor dem Verschwinden ihres Glaubens einen Verlust zu beklagen. Ihr Bruder starb, als die Geschwister noch Teenager waren.

Man darf zwischen beidem, dem Tod des Bruders und dem Zusammenbruch des Glaubens, eine Verbindung ziehen. Es gelingt Tamar Noort, ihren Plot mit viel Sentiment zu entfalten, mit gedanklicher Tiefe und manchen Effekten. Es macht den Reiz dieses Debüts aus, dass sich seine Urheberin fantasievolle Wendungen unbedingt erlaubt.

Tamar Noort: „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“. Kindler. 304 S., 22 Euro.
Tamar Noort: „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“. Kindler. 304 S., 22 Euro. © Rowohlt Verlag | Rowohlt Verlag

Noorts Roman mit filmischem Potenzial

Während zum Beispiel die Beziehung Elkes zu ihrem Lebensgefährten Jan, einem metaphysisch völlig unbegabten Informatiker, an einen Endpunkt gerät, versucht Elke, das Ruder anderweitig herumzureißen. Sie soll Bestandteil einer Show von Motorradartisten werden, die unter Einsatz des eigenen Lebens Steilwände hochbrettern.

Hier geht es um höhere Mächte, die jene Biker vor Unglück bewahren müssen; ob die Wagemutigen nun an einen Gott glauben oder nicht. Ein Papagei, den Elke in ihre Obhut genommen hat, spielt beim dramatischen Höhepunkt dieses Handlungsstrangs eine Rolle. Noorts Roman hat filmisches Potenzial, weil er szenisch und dialogisch verfährt. Souverän führt die Erzählerin die Lesenden durch die Handlung, in der die Heldin Elke schließlich in einem lange abgeschlossenen Bereich ihrer Biografie landet.

Sie muss Trauerarbeit leisten, um sich selbst wieder zu erkennen. Sich währenddessen von den Wünschen emanzipieren, die andere an sie haben, in diesem Fall besonders ihr Vater, der selbst Pastor ist und nur allzu gerne hätte, dass die Tochter seine Gemeinde erbt. „Hallo Gott, verdammte Kackscheiße, wo zur Hölle steckst Du?“, denkt Elke einmal mit gefalteten Händen.

Es ist das expliziteste Gebet, das man sich vorstellen kann; in ihrer diesseitigen Verzweiflung ist die literarische Figur Elke ein Identifikationsmodell für uns alle, die wir auch mal ins Straucheln geraten und den rechten Weg nicht mehr wissen. Egal ob es um Dinge des Glaubens geht oder etwas ganz anderes.

Für ein Kapitel von „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ erhielt Tamar Noort 2019 den Hamburger Literaturpreis. Ihr unterhaltendes, warmherziges Buch verdient viele Leserinnen und Leser.