Hamburg. „Der perfekte Chef“ ist eine bissige Satire, die beim spanischen Oscar in 20 Kategorien nominiert war – und sechs Preise einstrich.

Ach ja, so einen Chef wünschen wir uns doch alle! Einen, dem es nicht nur um seine Firma und seinen Gewinn geht. Sondern der auch immer für seine Angestellten da ist. Wohlwollend, offenherzig, zugewandt. Der immer Zeit und ein Ohr für einen hat. Einen Chef also, der das Wort Familienunternehmen beim Wort nimmt. Und damit nicht nur seine Anverwandten meint, sondern auch seine Belegschaft.

Julio Blanco (Javier Bardem) ist so ein Bilderbuch-Chef in einem spanischen Film, der jetzt in die Kinos kommt und dies sogar im Titel trägt: „Der perfekte Chef“. Dieser Blanco leitet in einer Provinzstadt eine Fabrik, die Industriewaagen herstellt. Das ist natürlich eine Metapher, denn als Waagenhersteller sollte man ja von Natur aus Ausgewogenheit, Gleichgewicht und Harmonie anstreben.

Kino Hamburg: Vor dem Werk wird protestiert

Vor allem jetzt. Denn Blancos Firma ist unter den letzten drei Finalisten für den Business Excellence. Es ist der höchste Wirtschaftspreis der Regionalregierung. Und es ist der Einzige, der Blanco noch fehlt unter all den Auszeichnungen, die in seinem Heim eine ganze Wand füllen. Deshalb schwört der Chef seine Angestellten darauf ein, dass demnächst, keiner weiß genau wann, das Jury-Komitee vorbeikommt und das Werk inspiziert.

Wie ärgerlich nur, dass just jetzt ein Mitarbeiter aus der Buchhaltung lautstark gegen seine Kündigung protestiert. Und sogar ein Protestcamp direkt vor dem Werkstor aufschlägt. Mit seinen Kindern, die er nicht mehr ernähren kann. Blutet Blanco denn nicht selbst das Herz, dass er einen seiner Söhne gehen lassen musste? Fühlt er sich nicht wie ein Chirurg, der nicht amputieren will, es aber tun muss, um den Rest des Organismus zu retten?

Projektleiter Miralles fällt durch Patzer auf

Und nicht nur der Querulant sorgt für Disharmonie. Projektleiter Miralles (Manolo Solo) fällt in letzter Zeit immer öfter durch falsche Bestellungen und logistische Patzer auf, wodurch die Werksproduktion ins Schlingern gerät. Ein Techniker bittet seinen Chef überdies um Hilfe, weil dessen Sohn bei einer Prügelei verhaftet wurde. Und dann ist da noch die Musterwaage gleich hinter dem Werkstor, die, ein Running Gag, nie richtig auspendelt. Kann das mal jemand in Ordnung bringen? Nein, der Chef muss immer selber ran.

Aber die Mittel dazu sind mehr als fragwürdig. Der Projektleiter ist durch den Wind, weil seine Frau sich von ihm scheiden lassen will. Also geht Blanco zu ihr und bittet sie, dem Gatten noch mal eine Chance zu geben. Ganz schön übergriffig. Und egoistisch. Den Protestler vor dem eigenen Tor möchte er auch loswerden, egal wie. Und dann sind da noch die Praktikantinnen. Die letzte hat zum Abschied mehr Tränen vergossen, als schicklich sind. Da kommt schon eine neue Praktikantin (Almudena Amor), für die der Chef mehr Zeit aufwendet, als angemessen.

Idealbild bekommt plötzlich Risse

Nach und nach kommt also heraus, dass dieser perfekte Chef doch nicht so perfekt ist, wie er sich gern gibt. Und es ist das Kunststück des Regisseurs und Drehbuchautors Fernando León de Aranoa, dass er es ziemlich lange offen lässt, wie gut und gütig dieser Patron (im Original heißt der Film „El buen patrón“) wirklich ist. Ja, es ist geradezu eine Zumutung, dass der Film uns zwingt, Sympathie aufzubringen für einen Großunternehmer. Und uns mal nicht die Nöte eines ausgebeuteten Arbeiters, sondern allen Ernstes die eines ziemlich reichen Mannes erzählt.

Aber dann bekommt dieses Idealbild immer mehr kleine Risse. Eine Weile fragt man sich noch, ob diesen „armen“ Chef nicht nur die Umstände zu gewissen Maßnahmen zwingen. Nach dem Motto, dass man eine Waage gelegentlich austricksen muss, um sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Aber irgendwann entgleiten dem Mann mit den akkuraten Anzügen und der ondulierten Föhnwelle dann doch mal die wohleinstudierten gütigen Gesichtszüge. Und dann blitzt es doch auf, das kalte, eisige, aasige Antlitz des Kapitalismus.

Komödie wird zu einer bissigen Gesellschaftssatire

In gewisser Weise ist „Der perfekte Chef“ eine Mogelpackung. Die dem Zuschauer genauso etwas vormacht wie deren Hauptfigur ihrer Umwelt. Was lange wie eine Komödie daherkommt, wird mehr und mehr zu einer bitterbösen, bissigen Gesellschaftssatire. Dass man diesem Chef so lange folgen mag, ist seinem Darsteller Javier Bardem zu verdanken.

Der hat schon oft den Bösen gegeben, im James-Bond-Film „Skyfall“ etwa oder in „No Country For Old Men“, für den er einen Oscar bekam. Der 53-Jährige hat aber auch schon viele tragische Figuren wie den Gelähmten in „Das Meer in mir“ gespielt. Nie weiß man bei ihm, woran man ist. Und diese Kunst spielt er auch in diesem Film aus. Und fährt dabei zur Höchstform auf. Bis der Film dann eine Wendung nimmt, mit der auch der berechnende Boss nicht rechnet.

Kino Hamburg: Film räumte sechs Preise ab

Satire vom Feinsten. Und vom Feistesten. Für seinen Hersteller hat sich das voll ausgezahlt. Wie der Patron für seine Waagen, hat auch Regisseur de Aranoa für seinen Film zahllose Preise eingeheimst.

Allein beim spanischen Oscar, dem Goya, war der Film gleich in 20 Kategorien nominiert. Und räumte mit sechs Preisen ab. Das Märchen vom guten Chef aber, es muss wohl weiter ein Märchen bleiben.

„Der perfekt Chef“ 120 Min., ab 12 J., läuft im 3001, Abaton, Elbe, Koralle, Passage, Zeise