Hamburg. Alexander Scheer, Andreas Dresen und Co. mit Gundermann-Liedern beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Ein bewegendes Konzert.

Einen passenderen Ort für dieses Konzert kann es kaum geben: Hinter der Open-Air-Bühne am Museum der Arbeit ragt TRUDE, das 14,2 Meter hohe und 380 Tonnen schwere Schneidrad des Elbtunnelbohrers, hervor, Kulisse für ein SHMF-Konzert mit den Liedern eines überzeugten Werktätigen, des DDR-Liedermachers Gerhard Gundermann (1955-1998). Der schrieb seine Songs, während er im Lausitzer Braunkohletagebau in luftiger Höhe einen riesigen Bagger bediente. Konzerte gab er zwischen zwei Schichten, er wollte nicht allein von der Kunst leben, sondern von „meiner Hände Arbeit“.

Im Westen war Gundermann kaum bekannt, bis Regisseur Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon“) einen Spielfilm über ihn drehte – mit Alexander Scheer in der Hauptrolle. Ein wunderbarer Film, so melancholisch und lebensklug wie Gundermanns Lieder, der 2018 in die Kinos kam und mit gleich sechs Deutschen Filmpreisen ausgezeichnet wurde. Scheer sang darin die Gundermann-Lieder, und irgendwie lag es nahe, nach Abschluss der Dreharbeiten einfach weiterzumachen.

Konzertkritik: Gundermann im Westen angekommen

Mit Andreas Dresen an der Gitarre und weiteren Mitstreitern, darunter Pankow-Gitarrist und -Sänger Jürgen Ehle. Seit vier Jahren tourt diese Band schon durch die Republik, und auch wenn der Nostalgiefaktor im Osten besonders hoch ist und dort besonders ergriffen mitgesungen wird – inzwischen ist Gundermann auch im Westen angekommen, wie das mit 1200 Besuchern ausverkaufte Konzert am Museum der Arbeit zeigt.

Zwar gibt Alexander Scheer nicht mehr wie im Film mit perfekt angeeigneter Körpersprache den Gundermann-Wiedergänger, doch wie er da so am Mikro steht, kommt der Schlaks aus Berlin dem Original aus Spreetal immer noch sehr nahe. Und ein perfekter Interpret seiner Lieder ist er ohnehin – wobei das Konzert aber nicht mit einer Gundermann-Nummer, sondern mit einem Song von Kid Kopphausen (Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch) beginnt. „Wer bin ich?“, heißt es da immer wieder, und diese Frage dürfte sich auch Gerhard Gundermann ein ums andere Mal gestellt haben.

Gundermann war ein überzeugter Kommunist

Ein überzeugter Kommunist war er, der fest an die DDR glaubte. Einer, der für Verbesserungen in der real existierenden Arbeitswelt eintrat und immer wieder bei den SED-Apparatschiks aneckte. Einer, der sich weigerte, beim Besuch des Verteidigungsministers das Loblied „Unser General“ zu singen und von der Offiziersschule flog, sich später aber von der Stasi als Spitzel anheuern ließ. Der nach der Wende erschüttert war, als ihm klar wurde, was er getan hatte und nicht etwa tränenreich allgemeine Erklärungen abgab, sondern die Bespitzelten persönlich aufsuchte, um sich zu erklären und zu entschuldigen.

Ein Mensch mit vielen Facetten, dessen Seelenleben sich in den Songs offenbart, die an diesem lauschigen Sommerabend zu hören sind. Etwa „Linda“ über seine spät geborene Tochter mit Zeilen wie „Du bist in mein Herz gefallen / Wie in ein verlassenes Haus / Hast die Türen und Fenster weit aufgerissen / Das Licht kann rein und raus“ oder „Männer und Frauen“, eine Nummer, bei der der Lebenshunger aus jeder Zeile dringt: „Von jedem Tag will ich was haben / Was ich nicht vergesse / Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne / Ein Schlag in die Fresse“.

Energiefluss schafft eine Verbindung

Im Publikum sind T-Shirts von Bob Dylan („Tour 1983“) und Tom Waits zu sehen, gegen Mitte des Konzerts erklingt Gundermanns Version von Bruce Springsteens „Racing In The Street“, und als Andreas Dresen grinsend eine Nummer von Rio Reiser ankündigt („Der Gundermann des Westens, über den müsste man mal einen Film machen...“), passt das ebenso. Gundermann ist hier in musikalisch wie emotional ausgesprochen guter Gesellschaft.

Man müsse sein Herz öffnen und die Songs reinlassen, hat Alexander Scheer einmal über seine Gundermann-Erfahrung gesagt. „Herz öffnen“ ist ein perfektes Stichwort, denn genau das ist es, was an diesem Abend auch im Publikum passiert, daran lässt ein Blick durch die Reihen keinen Zweifel. Diese Lieder rühren an, und diese Band, die wirkt, als wären hier sechs alte Freunde gemeinsam unterwegs, tut es auch. Da entsteht ein Energiefluss, der die Batterien neu auflädt, der Verbindung schafft und Mut macht in vielfach bedrückenden Zeiten.

Konzertkritik: Letzter Song ist von David Bowie

Die letzte Nummer des Abends, nach mehr als zwei Stunden, ist nicht von Gundermann, sondern von David Bowie: „Heroes“. Ein Selbstläufer für Alexander Scheer, der schon 2018 in „Lazarus“ am Deutschen Schauspielhaus als Bowie zu erleben war. Jetzt tobt er über die Open-Air-Bühne und in die ersten Reihen – längst stehen alle, tanzen, singen, klatschen. „Dann sind wir Helden für einen Tag“ heißt es in dem Song. Für einen Tag? Nein, Dank Dresen, Scheer und Co. ist Gerhard Gundermann auch auf lange Sicht dem Vergessen entrissen.

CD: „Gundermann – Die Musik zum Film“ (ca. 16 Euro) DVD oder Blu-ray: „Gundermann“ (ca. 7 Euro)