Hamburg. Die Cellistin spielte mit dem Gropius Quartett und Pianistin Lily Maisky in der Elbphilharmonie – fast zu schön, um wahr zu sein.
Manche Menschen haben eine besondere Gabe, Verbindungen zu schaffen. Dass Camille Thomas mit einer Extraportion dieser Gabe gesegnet ist, demonstriert sie auch in Hamburg. Beim Nachmittagskonzert mit dem Gropius Quartett im Kleinen Saal der Elbphilharmonie braucht die junge Cellistin – Typ Sonnenschein – nicht lange, um Freunde zu machen. Ein paar Sätze über ihr Stradivari-Cello und dessen Bedeutung für Frédéric Chopin, ein aufrichtiger Dank an ihren langjährigen Professor Wolfgang Emanuel Schmidt, den Cellisten vom Gropuis Quartett, der schräg rechts hinter ihr sitzt. Und schon hat man sie ins Herz geschlossen.
Dieses natürliche Charisma verströmt Camille Thomas auch am Instrument. Wenn sie den tänzerischen Schwung in der Ungarischen Rhapsodie von David Popper auskostet und ihre Finger auch im flotten Tempo immer punktgenau den richtigen Platz auf dem Griffbrett finden. Als wäre das alles gar nicht sonderlich virtuos, sondern selbstverständlich und leicht. Oder wenn sie die Bearbeitung des Largo-Satzes aus Chopins Cellosonate streicht: mit singendem, edlem Ton, gekonnt und geschmackssicher an der Kitschgrenze entlang balanciert. Wellness fürs Trommelfell.
Konzert in der Elbphilharmonie: Fast zu schön, um wahr zu sein
Der Auftritt der franko-belgischen Mittdreißigerin steht im Zentrum des Programms. Doch die gewichtigeren, auch emotional dichteren Werke finden ohne sie statt.
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Felix Mendelssohns f-Moll-Quartett ist nach dem plötzlichen Tod seiner Schwester Fanny Hensel entstanden. In den Tremoli, die das Werk durchziehen, scheint der Schock des Komponisten über den Verlust nachzuzittern; nirgendwo sonst hat er so aufgewühlte, schmerzzerfurchte Musik geschrieben. Andere Ensembles bürsten das Stück oft ziemlich schroff und bisweilen geräuschhaft in die Saiten – doch das Gropius Quartett hebt vor allem die intimen Momente und die Verletzlichkeit hervor. Mit unendlich zarten Pianissimo-Farben, die der Saal sensibel abbildet. Das ist manchmal fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Aber eben trotzdem: schön.
Quartett spielt in der Elbphilharmonie mit gut balanciertem Kräfteverhältnis
Für das Klavierquintett von Schumann holen sich die Streicher Lily Maisky mit ins Boot, beziehungsweise auf die Bühne. Im Zusammenspiel mit der Pianistin formen sie einen romantisch warmen, aber zugleich transparenten Klang.
Als Teilzeit-Ensemble aus exzellenten, kammermusikerfahrenen Solistinnen und Solisten reicht das Gropius Quartett naturgemäß nicht ganz an das Feintuning von festen Formationen auf internationalem Top-Niveau heran. Aber das instrumentale Niveau ist sehr hoch, das Quartett spielt mit Intensität im Ausdruck und einem gut balancierten Kräfteverhältnis. Gerade die Bratsche klingt wunderbar präsent und ist keine Mitläuferin in Mittellage, sondern gleichberechtigte Stimme, ganz im Sinne der Musik.
Mit Lily Maisky haben die vier eine starke Partnerin an der Seite, die viele Ideen und Impulse in die Gruppe einspeist. So wird die Aufführung von Schumanns Quintett mit seinen nervösen Synkopen, seinem beseelten Gesang und seiner Energie zu einem packenden Erlebnis.