Hamburg. Léa Seydoux macht aus „France“ ein Kinoereignis: Der Film entwickelt sich von feister Mediensatire zu einem facettenreichen Drama.

Anfangs reibt man sich verwundert die Augen. Ist das der französische Staatspräsident, der da in den Elysée-Palast lädt? Ja, es ist wirklich Emmanuel Macron. Aber er gibt hier keinen Gastauftritt in einem Spielfilm, er wurde hineinmontiert. Und scheint auf eine Frage der Journalistin zu antworten, um die es in diesem Film geht. Die aber hört bei seiner Antwort schon nicht mehr zu, sondern tuschelt mit den Nachbarn. Wichtig ist nicht, was Monsieur le Président zu sagen hat. Wichtig ist nur, dass sie ihn gefragt hat.

So geht es unentwegt. France (Léa Seydoux) heißt wie ihr Land. Und glaubt auch, in dessen Dienst zu handeln. Ihre Sendung trägt den Titel „Un regard sur le monde“, also ein Blick auf die Welt. Dieser Blick aber sieht nichts, er will nur selbst gesehen werden. Denn diese Frau ist ohne jede Empathie. Im Studio hetzt die Moderation genussvoll ihre Gäste aufeinander. Und in ihren Reportagen stellt sie sich selbst in Kriegsgebieten schamlos in den Mittelpunkt. Von wegen Nachrichtenwert. Alles nur Show. Damit ist sie selbst zum Star geworden und steht auf jedem roten Teppich.

Kino Hamburg: France fährt Mopedfahrer an

Dann aber geschieht etwas Unvorhergesehenes, das ihr Leben auf den Kopf stellt. Nicht in einem der vielen Krisenherde, in die sie dauernd reist. Es ist viel banaler. France steht in Paris im Stau und fährt aus Versehen einen Mopedfahrer an. Der, ein Migrant, der seine gesamte Familie ernährt, wird verletzt und arbeitsunfähig. Sie hat Gewissensbisse, besucht den Patienten, kommt für seinen Ausfall auf. Aber ist das ehrlich? Oder tut sie es nur, weil sie plötzlich selbst in den Schlagzeilen ist? Und die mal nicht positiv sind?

Der kleine Aufprall im Stau reicht, um France gründlich zu erschüttern. Mehr und mehr verliert sie den Boden unter den Füßen. Und das Gespür für den Job. Sie stammelt vor der Kamera. Und wo sie früher oft unangebracht lachte, rinnt ihr plötzlich ein Tränchen aus dem Auge. Sie verliert auch zunehmend den Draht zu ihrem Kind und zu ihrem Mann, dem Schriftsteller Fred (Benjamin Biolay). Sie wirft ihre Sendung hin. Zieht sich zur Kur zurück. Verliebt sich dort in einen Patienten (Emanuele Arioli), der vorgibt, nicht zu wissen, wer sie ist. Aber in Wirklichkeit selbst ein Journalist ist, der eine Story über sie plant.

Kino Hamburg: Zuerst Mediensatire, dann Drama

Anfangs ist Bruno Dumonts Film „France“ eine feiste Mediensatire, die zeigt, wie schmal der Grat zwischen Dokumentation und Inszenierung, zwischen Fake und News sein kann. Und wie ergreifende Schicksale für Egoshows ausgebeutet werden. Dumont entlarvt in „France“ zunächst mit Lust den leeren Schein der Glitzerwelt, die zynischen Tricksereien, um Nachrichten sensationeller und quotenträchtiger zu machen. Doch dann wird aus der Mediensatire ein Drama über eine aus der Spur geratene Frau, mit der man doch nie Mitleid hat, weil auch sie keins empfindet.

Und über allem steht und strahlt Hauptdarstellerin Léa Seydoux, die schon bei 007 das klassische Bond-Girl abgeschafft hat und nun auch diesen Film dominiert und ganz zu ihrem macht. Schon ihret­wegen lohnt es, diesen Film zu sehen.

„France“ 130 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im Blankeneser, Koralle, Passage