Hamburg. Im neuen Tatort suchen Falke und Grosz eine verdeckte Ermittlerin, die in der linksautonomen Szene verloren gegangen ist.

Die Sprüche-Ecke wird schon früh aufgemacht. Man muss ja über das fortschrittliche Bewusstsein auch mal spotten dürfen. Falke also beim Kontakte checken draußen unterwegs, in der Schanze. Der junge Mann der VoKü hat die heißen Infos, die Falke braucht – und außerdem Labskaus im Angebot. Veganen natürlich. Alles ist hier vegan. 4,90 Euro. Falke: „Laktosefrei?“ Junger Mann: „5,20 Euro“ Falke: „Dann nehme ich zwei“. Das ist „Tatort“-Humor, wenn die pure Gegenwart gemeint ist. In „Schattenleben“ (Regie: Mia Spengler, Buch: Lena Fakler) ist eine verdeckte LKA-Ermittlerin in der linksautonomen Hamburger Szene verloren gegangen.

Eingeschleuste Polizisten in der Flora gab es wirklich, Inspiration war also da. Die Filmfigur Ela (Elisabeth Hofmann) ist eine alte Freundin von Julia Grosz (Franziska Weisz) und hinterlässt bei der nach einem Wiedersehen den Eindruck einer Frau im Panik-Modus. Kurz danach ist sie unauffindbar. Was Grosz dazu bringt, selbst undercover in die Szene zu gehen. Die dreht gerade mächtig auf, Brandanschläge auf Polizistenautos sind in Mode. Wie sich herausstellt bei den Beamten, die Verhaftete gerne hart anpacken. Bei einer dieser Attacken kommt die Frau eines Polizisten zu Schaden.

Hamburg-„Tatort“: Grosz verliert die Distanz der Ermittlerin

Gewalt ist ein Thema in der strikt antikapitalistischen, dem Staat feindlich gegenüber stehenden militanten Linksfraktion. Und das wird in diesem Krimi auf mehreren Ebenen durchdekliniert. Auch, was die andere Seite angeht. „Die Polizei ist rassistisch, sexistisch und hat ein riesiges strukturelles Gewaltproblem“, bekommt Grosz zu hören, als sie sich erfolgreich in die hauptsächlich von lesbischen Frauen bewohnte WG eingeschlichen hat, in der Ela lebte. Da kann sie gleich doppelt nicht gegen opponieren: Weil sie zwecks Tarnung die Polizei nicht in Schutz nehmen darf.

Weil sie die Zustände der eigenen Truppe kennt. Und Grosz verliert bald sowieso die Distanz der Ermittlerin, verheddert sich im emotional aufgeladenen Innenleben der linksaktivistischen Gruppe. Da ist die von Hassenergie aufs System strotzende Nana (Gina Haller), mit der Ela liiert war. Homoerotische Spannungsverhältnisse treiben die Handlung voran, Grosz kann sich ihrer nicht erwehren.

Figuren sind einigermaßen mehrdimensional gezeichnet

Was der vom Schreibtisch aus mit seiner Kollegin mehr schlecht als recht Kontakt haltende BKA-Mann Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) mit Unwillen zur Kenntnis nimmt. Wie weit dürfen Polizisten beim Infiltrieren von Milieus gehen? Wie gewaltbereit sind Polizisten eigentlich? Der Film verhandelt seine Themen weitgehend geschickt. Aber wie es bei so gelagerten Fällen mit Meta-Ebene, mit Themen-Special eben so ist: Überladen wirkt das hier alles irgendwie schon.

Dabei gibt sich dieser „Tatort“ Mühe, Figuren wie etwa das Anschlagsopfer auf Polizeiseite, dessen „Scheißzecken“-Fluch man in diesem Ausnahmezustand noch tolerieren mag, einigermaßen mehrdimensional zu zeichnen. Um im Gleichgewicht der Gewalt zu bleiben, langen in einer Szene aber auch die Kampffrauen ordentlich zu. Verbal hochgerüstet sind die Linken eh, aber sie haben auch Spaß: Als die wilde Nana auf der Suche nach Ela mit der zeternden Julia Grosz im widerwilligen Schlepptau in ein Privathaus eindringt, läuft als Soundtrack Perry Comos fröhliches „Papa Loves Mambo“.

Hamburg-„Tatort“ – ein insgesamt guter Krimi

Es steuert, man ahnt es, auf ein Familiendrama zu. Das Beamtenglück in der Vorstadt war nur das Vorspiel zur Ehehölle, und ganz grundsätzlich entspricht diese vermeintliche Spießerwelt der Ekelformel par excellence – aus Sicht autonom-hedonistischer Lebensperspektive. Nana, hysterisch und erschüttert bis ins Mark: „Die Liebe meines Lebens sitzt in einem Scheißhaus in Pinneberg – mit HSV-Flagge!“ Wo wir schon beim Spaßhaben waren einerseits und beim Trauern andererseits – der böse Drehbucheinfall, die längst im Zentrum der Handlung stehende Nana quasi direkt nach diesem verbalen Ausbruch nicht irgendwo, sondern ausgerechnet vor dem mit einer in Hamburg speziellen Fußballparole („Derbysieger SVW“) verzierten Wand in die Knie gehen zu lassen? Das ist purer Punk.

Fazit: Ein insgesamt guter Krimi, der von den Dialogen und den Figuren lebt. Und der die Frage, was denn nun mit der LKA-Beamtin Ela passiert ist, nie aus dem Blick verliert.

„Tatort: Schattenleben“ So 12.6., 20.15 Uhr, Das Erste