Hamburg. Dank der Spürnase von Sänger-Intendant Marius Adam stehen hervorragende Künstler auf der Bühne – eine Sängerin sticht besonders heraus.
Konzertante Opernaufführungen sind eine heikle Sache. Ohne sichtbare Handlung, Kostüme und Bühnenbild fehlt natürlich eine Menge, also muss fast alles von der Musik wettgemacht werden. In Donizettis „Lucia di Lammermoor“ am Allee Theater ist das über weite Strecken hinreißend gelungen, auch dank der Spürnase von Marius Adam. Als Sänger-Intendant ist er seine eigene Scouting-Abteilung. Und die hat wieder hervorragende Arbeit geleistet.
Zum Beispiel mit der Entdeckung des kalifornischen Tenors Jacob Romero Kessin, gerade mal Mitte 20. Er singt Lord Arturo und Hauptmann Normanno mit hellem, geschmeidigem Timbre – und zeigt gleich mit der ersten Arie, dass die Aufführung bis in die kleineren Rollen hinein exzellent besetzt ist.
„Lucia di Lammermoor“ am Allee Theater
Der in der Inneren Mongolei geborene Hongyu Chen steckt zwar mit der Nase oft in den Noten vor ihm auf dem Pult und wirkt nicht immer sattelfest – aber er beeindruckt mit superkernigem Bariton und genau jenem Testosteronüberschuss, den er als Machtmensch Lord Enrico Ashton braucht.
Um den eigenen finanziellen Ruin zu vermeiden, will Ashtonseine Schwester Lucia mit Arturo verheiraten und intrigiert gegen ihre Beziehung zu seinem Erzfeind Edgardo. Der chilenische Tenor Guillermo Valdés gibt diesen Edgardo voller Leidenschaft, mit Leuchtkraft und dunkler Glut in der Stimme.
Die exzellenten Gäste treffen auf bewährte Ensemblemitglieder der Kammeroper: Feline Knabe als Lucias Kammerdame Alisa. Titus Witt als Raimondo, der die Moralvorstellungen der Kirche entschieden und salbungsvoll vertritt. Und die alles überragende Luminita Andrei in der Titelpartie.
Die rumänische Sopranistin hat nicht bloß die waghalsigen Sprünge und Spitzentöne sicher in der Kehle, sie nutzt die Koloraturen als Mittel des Ausdrucks und durchlebt die emotionalen Extremzustände der Lucia mit jeder Faser.
Man spürt sofort: mit der stimmt was nicht
Schon zu Beginn, als sie noch vom Liebesglück träumt, hat sie einen manischen Blick. Man spürt sofort: mit der stimmt was nicht. Später, nachdem Lucia ihren Ehemann ermordet hat, ist sie völlig außer sich, ringt mit den Händen, greift sich ins Gesicht, und verfällt endgültig dem Wahnsinn.
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Hier, im dritten Akt, trägt Luminita Andrei ein blutverschmiertes weißes Kleid, sie löst sich ganz von ihrem Notenpult und verkörpert Lucias Schmerz mitreißend. Da entsteht eine szenische Intensität – in einem Drama, dessen Inhalt Lutz Hoffmann in Zwischenmoderationen prägnant und humorvoll zusammenfasst.
Feine i-Tüpfelchen in einer packenden Premiere
Der musikalische Leiter Ettore Prandi hat keine leichte Aufgabe, mit den Sängerinnen und Sängern hinter und dem Rungholt Ensemble vor sich auf der Bühne, zumal die Probenzeit knapp war. Das ist schon manchmal zu spüren, ändert aber nichts am Gesamteindruck.
Auch das Orchester spielt mit großer Hingabe und sorgt für viele schöne Momente, etwa mit den Klangtupfern der herausragenden Harfenistin: Feine i-Tüpfelchen in einer packenden Premiere.