Hamburg. Musik wie für einen Zeitraffer-Film: Pekka Kuusisto mutierte mit Bryce Dessners rasantem Violinkonzert zum Duracell-Geiger.

Kein Wunder, dass Pekka Kuusisto sich jedes Mal 20 Liegestütze zum Warmwerden verordnet, bevor er sich mit diesen Notenmassen anlegt. Bryce Dessner, ansonsten Gesicht der Band The National und gefragter Filmmusik-Lieferant, hat 2021 für den finnischen Geiger ein Violinkonzert geschrieben, das mindestens einen Waffenschein benötigt. Gut 30 Minuten lang, und, wenn es hoch kommt: drei sehr kurze Lücken, in denen der Solist nicht an den Rand einer Sehnenscheidenentzündung getrieben wird und tatsächlich mehrere Takte lang pausieren darf. Während das Orchester – in diesem Fall das als Alleskönner bekannte Londoner Philharmonia Orchestra – wie eine heißlaufende, schillernde Noten-Turbine die minimalistisch verschachtelte Musik nach vorn peitscht.

Kuusisto musste nebenbei etliche Flageolett-Zumutungen bewältigen und bekam als Ausgleich Phasen spendiert, in denen er wie ein Folklore-Fiedler auf Speed wild werden konnte.

Elbphilharmonie: Kuusisto mutiert zum Duracell-Geiger

Selig machender Dauerstress für den Virtuosen, der aus dem Stand zum Duracell-Geiger mutiert, und für seinen Bogenarm, in einem gemeinen Tempo, spielbar nur mit einem iPad mit Fußpedal, weil Umblättern von Notenseiten verheerend wäre. Sobald man nur einen Siebtel-Moment darüber nachdenkt, ob man womöglich gleich draußen ist, ist es auch schon passiert. Kuusisto hatte kurz dieses Pech und schaffte es aber tatsächlich, spielend geradezu, sofort wieder auf diesen rasenden Zug aufzuspringen.

Immer wieder flackerten Motivlinien auf, immer wieder verpasste sich diese intuitiv zugängliche Musik, die als Soundtrack für einen Zeitraffer-Film perfekt wäre, einen Stromstoß nach dem anderen ins Rückenmark. Nur nicht stehenbleiben, nur nicht nachlassen. Wer hier bremst, verliert. Kuusisto gewann, klar. Riesenbeifall dafür, auch klar.

Ein toller Finne kommt selten allein

Seine Zugabe machte dort weiter, wo er gerade freudestrahlend aufgehört hatte: im Extrem. Kein vergeistigter Solo-Bach, sondern die nächste Phänomen-Vertonung: Thomas Adès „Skylark“, ebenfalls für Kuusisto geschrieben, in dem die Geige den Höhenflug und das feinsilbrige Zwitschern einer Feldlerche nachzeichnet, ohne sich groß um einengende Taktstriche zu kümmern und dann: verklingt.

Ein toller Finne kommt selten allein. Sanntu-Matias Rouvali ist einer dieser jung wirkenden finnischen Dirigenten, die nach etwas Vorglühen und Repertoire-Erfahrungs-Runden im fast Verborgenen da sind, wo gut sichtbar oben ist in der Klassik-Welt. In seinem Fall, als Nachfolger des Finnen Esa-Pekka Salonen, seit 2021 beim Philharmonia in London.

Von Haus aus ist der Mittdreißiger Rouvali, der erst mit 22 zum Taktstock wechselte, Schlagzeuger wie Simon Rattle; er hat übrigens eine Frisur wie der ganz frühe Sir Simon, und dazu eine ähnliche Chefpult-Präsenz und Zeichensprache, die Orchester lieben und sofort verstehen, weil dieser energische Elan bullshitfrei ist und selbstverständlich. Und keine Arbeit macht, sondern Vergnügen. Als Ex-Schlagzeuger ist ein Rhythmus wie der von Dessner, bei dem wirklich jeder unausweichlich mit muss, für Rouvali sowohl besondere Herzensangelegenheit als auch Kinderspiel. Wie gut er ein Orchester zusammenhalten und gleichzeitig loslassen kann, konnte man jederzeit an der eleganten Choreographie seiner Linken ablesen.

Elbphilharmonie-Konzert: Lieber überzeichnen statt unterwältigen

Aus der Covid-Zwangspause hatte Rouvali sich mit dem Strauss-Doppel-Whopper „Alpensinfonie“ und „Also sprach Zarathustra“ hintereinander beim Philharmonia-Publikum zurückgemeldet, mit Maximalbesetzungen. Kein Ego-Mangel also, wenn es um das Ausspielen von Ursachen und Wirkungen geht. Umso seltsamer, dass das Tour-Programm um Dessner herum etwas Kraut und eine Rübe zusammenschnürte: Rossinis „Semiramide“-Ouvertüre und Beethovens „Pastorale“. Jedes Stück, für sich genommen, fein und großartig. Tieferer Zusammenhang? Eher nicht, außer dem einen: Beides wurde vom Orchester tadellos abgeliefert.

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Den hineinkomponierten Opernbühnen-Vorhang in der Rossini-Ouvertüre zog Rouvali sehr effektvoll auf. Danach durften und konnten alle Solo-Instrumentalisten glänzen, hier waren Entertainment und Überschwang angebracht. In Beethovens Sechster allerdings ging Rouvalis Temperament dann doch etwas zu sehr mit ihm und seinen Tempo-Vorstellungen durch. Die idealisierte Abbildung von Natur hatte viele schöne Seiten, war aber in der Detailzeichnung leicht verhuscht. Ganz offenkundig wollte Rouvali um Himmels willen nicht langweilen, wollte lieber überzeichnen statt unterwältigen. Er entschlackte und straffte, beschauliches Zurücklehnen war dieser Interpretation nicht vergönnt. Kein Problem für das sensationell agierende und reagierende Orchester und ein Beethoven-Bild, das ebenso interessant wie leicht unausgewogen war.

Nächste Musikfest-Konzerte mit großem Finnland-Faktor: 30. / 31.5. / 1.6., jeweils 20 Uhr. Klaus Mäkelä und das Oslo Philharmonic mit den sieben Sibelius-Sinfonien. Elbphilharmonie, Großer Saal.