Hamburg. Ob Solisten, Chor oder NDR Elbphilharmonie Orchester: An diesem Abend, der die Seele berührte, passte alles. Bewegender Schluss.

Eine Oper zu komponieren, in der die weibliche Hauptfigur ausgerechnet im Dialog mit ihrem Geliebten einen ganzen Akt lang verstummt, dürfte selbst einen so erfahrenen Komponisten wie Antonín Dvořák ins Grübeln gebracht haben. Aber das berühmte Märchen von der Nixe Rusalka, einer tschechischen Abwandlung des romantischen Märchens „Undine“ und Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“, verlangt das nun mal und der zum Zeitpunkt der Entstehung 59-jährige Dvořák hatte Wege gefunden, die Nixe in diesen Szenen allein durch die Musik sprechen zu lassen.

Elbphilharmonie: „Rusalka“ – Eine Opern-Sternstunde

Für ihre Verwandlung von einem Wassergeist in eine Menschenfrau hatte die Hexe Ježibaba der verängstigten Rusalka die Bürde der Sprachlosigkeit auferlegt und damit den Keim für das Scheitern ihrer innigen Liebe zum Prinzen gelegt. Wo Rusalka aber singt und mit ihrem Vater, dem Wassermann, um ihren Ausbruch aus dem Zauberreich ringt oder sich gegen die Hexe behauptet, bricht Leidenschaft und Willenskraft aus ihr hervor.

In dieser Rolle nun war am Freitag die phänomenale amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen in der Elbphilharmonie bei einer konzertanten Aufführung dieser Oper mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester, dem Prager Philharmonischen Chor und einem brillanten Solistenensemble in der Elbphilharmonie zu erleben.

Es war wahrlich eine Sternstunde konzertanter Oper im Großen Saal, bei der der ganze Raum zur Bühne erweitert wurde, der Chor von den höchsten Rängen aus sang und einige Nixenschwestern der verzweifelten Rusalka durch die Publikumsreihen liefen und gestisch um Hilfe flehten. Rachel Willis-Sørensen, die gerade ihr Debütalbum „Rachel“ beim Label Sony Classical herausgegeben hat, trug im ersten Akt ein hellblaues Glitzerkleid, dessen durchsichtige Ärmel mit Schleppen bis zum Boden reichten und den Eindruck von Schwimmflossen erzeugten, wenn sie die Arme hob. Ihre Erscheinung stach von dem schwarz gekleideten Wassermann und seiner Kontrahentin Ježibaba sowie dem streng im Anzug auftretenden Prinzen deutlich ab.

„Rusalka“ in Elbphilharmonie: An diesem Abend passte alles

Die „Außenseiterin“ Rusalka blieb links außen stehen und gesellte sich zunächst nicht zu den hinter dem Orchester platzierten Schwestern und dem Wassermann. Überhaupt wurde das ganze Podium von links nach rechts und von vorn nach hinten bespielt und der Echo-Effekt, den die auf die drei Elfen antwortenden Chorsängerinnen des Prager Philharmonischen Chores oben von der Ebene 14 aus erzeugten, verfehlte seine Wirkung nicht.

Catherina Witting, Lucy de Butts und Anna-Maria Torkel spielten und sangen die drei übermütigen Elfenschwestern und sorgten ebenso für Kontraste zur Dramatik der Handlung wie der hervorragend singende Tenor Attilio Glaser als Förster und die Sopranistin Anastasia Taratorkina in einer Hosenrolle als Küchenjunge. Es war vergnüglich, wie die beiden Letztgenannten am Ende Reißaus vor der Hexe Ježibaba nahmen, die Michelle DeYoung mit wallender Lockenmähne und einem ganzen Arsenal an verführerischem Mienenspiel zu einer furchterregenden Gegnerin werden ließ. Bei all der darstellerischen Ausdruckskraft und Mimik war dann auch kaum eine Requisite mit Ausnahme eines Messers nötig, das die böse Ježibaba zur Ermordung des Prinzen der armen Rusalka überreichte.

Elbphilharmonie: Sternstunde konzertanter Oper im Großen Saal

Der mit Spannung erwartete ukrainische Tenor Dmytro Popov und der Bariton Andreas Heinemeyer hatten krankheitsbedingt absagen müssen. Für die Baritonrolle des Jägers sprang der brillant vorbereitete Nicholas Mogg und für den Prinzen der koreanische Tenor David Junghoon Kim ein. Sängerisch war Kim der perfekte Partner für Willis-Sørensen und konnte sich in jeder Lage gegen ihre starke, ja durchdringende Sopranstimme behaupten.

Es gelang ihm aber auch, seine Wandlung vom Eroberer eines unbekannten Wesens zum Betrüger und Verräter mitreißend in Szene zu setzen. Nachdem ihn die von Ekaterina Gubanova umwerfend kraftvoll und entschlossen gesungene Fürstin, die Rusalka den künftigen Mann nur aus eine Laune heraus rauben will, verhöhnt, kehrt er zu seiner wahren Liebe zurück. Reuevoll, aber zu spät und muss in ihren Armen sterben.

Elbphilharmonie: Bewegender Schluss als Höhepunkt des Opernabends

Dieser bewegende Schluss war ein Höhepunkt eines Opernabends, bei dem das NDR Elbphilharmonie Orchester unter seinem Chef Alan Gilbert zu Höchstform aufgelaufen war. Nicht nur die großartigen Holzbläsersoli wie das von Benjamin Völkel geblasene Englischhorn oder die von Dvořák mit herrlichen Kantilenen so reich bedachte Solo-Flöte überzeugten, auch den sechs Hörnern gebührt große Anerkennung.

Ein paar Hornisten verließen zuweilen ihre Plätze und spielten aus den hinteren Räumen, wenn es darum ging die Ankunft des jagenden Prinzen mit Hornsignalen aus der Ferne anzukündigen.

Gilbert hatte bei alldem keine Scheu davor, die Dynamik bis aufs Äußerste hochzuschrauben. Bei manchen Aktschlüssen bebte die Elbphilharmonie regelrecht. Aber es waren eben auch diese Zwischentöne, die von Dvořák thematisch vorweggenommenen Ahnungen der kommenden Katastrophe oder das stete Flimmern der Unterwasserwelt, die Gilbert und sein Orchester subtil einflochten. Die an ihren Träumen zerbrechende Rusalka, deren Herz aber voller Leidenschaft bis in den Tod bleibt, hat an diesem gelungenen Opernabend einmal mehr die Seelen berührt.