Hamburg. Zwiespältiges Echo auf Tannhäuser-Premiere an der Staatsoper Hamburg. Bekam Dirigent Nagano die Abgründe nicht in den Griff?
Kleine Quizfrage zum Einstieg in die erste große Wagner-Premiere mit allem Drum und Dran und großem Chor nach gefühlt 14 Jahren ohne: Was haben der Tenor Klaus Florian Vogt und Helmut Kohl strategisch gemeinsam? Beiden war klar, dass vor allem entscheidend ist, was hinten rauskommt.
Für den Tenor, der seit vielen Jahren auf den märchenhaft hereinschwebenden Schwanenritter Lohengrin abonniert ist (sowie auf dessen Geistes-Verwandten Parsifal) und der wohlweislich erst 2017 in München seinen ersten Tannhäuser sang, hieß das: Um Himmels willen nur nicht zu früh raus mit dem Pulver, gut einteilen die Wagner-Zauber-Kräfte.
"Tannhäuser" in Hamburg: Zwischen Lust und Liebe zergehend
Denn am Ende des dritten Aufzugs – nach sehr wenig Harmlosem – wartet noch die große Romerzählung. Etwa zehn Minuten stimmlicher dramatischster Drahtseilakt. Und Vogt weiß genau, dass er mit seiner hellen, leichten Stimmfärbung diesen Außenseiter, zwischen Lust und Liebe zergehend, weniger verträumt und weltfremd anlegen muss; kerniger, dunkler, herber, grenzwertiger.
So kam es dann auch in der Premiere, und Vogt wurde am Ende – und wohl vor allem für das Ende – zu Recht bejubelt, ebenso der Rest des singenden Personals. Das Inszenierungsteam (ohne Regisseur Kornél Mundruczó selbst) und auch Generalmusikdirektor Kent Nagano hatten dabei eindeutig weniger Glück.
Auch Vogts Gegenüber ließen sich sehr gut anhören: Tanja Ariane Baumgartners Venus war eine satt funkelnde Naturgewalt, die alles und jeden in Grund und Boden singen konnte. Jennifer Holloway, stark als Chrysothemis in der neuen „Elektra“ und als Senta für Michael Thalheimers „Holländer“ im Oktober vorgesehen, schärfte ihr Rollen-Profil vom ersten Ton des Grußes an die „teure Halle“. Sie stand Vogts vokaler Eindringlichkeit in nichts nach, so dass man eine genauere Charakterisierung als Seelenverwandte des anderen gesellschaftlichen Außenseiters – Tannhäuser – bald nicht mal mehr vermisste.
Wagner-Premiere in Hamburg: Lauter Special Effect zum Finale
Anders schön: Christoph Pohl als Wolfram von Eschenbach, der seinen einen großen, kurzen Auftritt unter dem zu besingenden Abendstern wunderbar detailklar auszugestalten wusste. Und Georg Zeppenfeld war als nobel wohlklingender Landgraf eine Bank, eh über jeden Zweifel an Klasse und Klarheit erhaben.
Den Rest des guten Eindrucks übernahm der Chor, der nicht nur im Aggregatszustand Pilger-Reisegruppe, sondern auch im Wartburg-Abschnitt des Stücks gefiel. Einen schön lauten Special Effect zum Finale gab es zusätzlich.
Gezeigt wurden ungefähr zwei Deutungs-Ansatzpunkte
Andererseits, und das ist kein ganz kleines Andererseits: Es ist längst nicht alles das massivste Gold, was um Vogts und die anderen Bravour-Leistungen herum gülden glänzen sollte, bei dieser Ablösung der amüsant pornösen „Tannhäuser“-Inszenierung von Harry Kupfer (1990 sang übrigens ein gewisser René Kollo in der Premieren-Serie).
Fürs szenische Auffrischen dieser Bestands-Antiquität hatte man Mundruczó verpflichtet, der schon mehrfach am Thalia angenehm aufgefallen war und auch als Filmregisseur international erfolgreich ist. Es hätte also einiges an anderen Deutungs-Einsichten in das gute alte Stück um schon begangene Sünden und noch unerfüllte Sehnsüchte geben können.
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Was es allerdings tatsächlich zu sehen gab, waren ungefähr zwei Ansatzpunkte, die nicht ausreichten für eine umhauend spannende Neudeutung: Tannhäuser war kein viriler, voll im Körpersaft stehender Jüngling, der sich im Venusberg eine schöne Zeit mit der Dame das Berges machte – er war dort ein ziemlich schlaffer Großfamilienvater geworden, in Chucks und T-Shirt und mit der Rest-Körperspannung eines Erdkundelehrers in der zweiten Freistunde.
Wartburg als coolweiße, noble Event-Halle
Die Einstiegsszene in den Ausstieg aus dem Sinnlichkeits-Paradies verschlief er also auf seiner Pritsche im Grünen, während die Musik rauschte und waberte. Die Tannhäusers – Mann, Venus und viele, sehr viele Kinderchen – hatten es sich in einem dekorativ zugewachsenen Dschungelcamp gemütlich gemacht. Und später ließ Tannhäuser oft viel geschehen, war passiv wie eine Requisite.
Idee Nummer zwei: Die Wartburg kam als coolweiße, noble Event-Halle, in der die schaumweingoutierende Oberschicht, nur echt in der x-ten Abendgarderobe, den Sängern zuhörte; wo hin und wieder ein Kellner mit purzelndem Tablett durchs Bild slapstickte, damit es nicht allzu steif blieb, und wo die Tischdeko vom einem Wolfenbütteler Kräuterlikör-Hersteller zu stammen scheint.
"Tannhäuser" in Hamburg: Bekam Nagano die Abgründe nicht in den Griff?
Idee Nummer zweieinhalb: Das Raus- und Reinkommen in die realere Welt inklusive Aufmarsch der Pilger spielte sich rund um einen eher schnöden Felshaufen ab. Nun gut, kann passieren, dass wenig passiert, könnte man einwenden; erst die Musik polieren, dann die Szene, das wäre nicht die schlechteste Methode, erst recht bei Wagner.
Doch Kent Nagano zeichnete nur ein ziemlich flächiges, nicht immer ganz makelloses, spannungsverarmtes Klangbild. Traute er der Überwältigungsmacht der Partitur nicht, bekam er die Abgründe nicht in den Griff? Das blieb zu unklar und damit zu unfantastisch. Im ersten Aufzug hatte Naganos Venusberg-Vertonung etwas leicht Lendenlahmes, es wollte nur wenig flackern oder funkeln. Das gab sich im Laufe des Abends, im Schlussspurt auf das weihevolle Ende waren die Philharmoniker im Graben musikdramatisch dann auch auf Augenhöhe mit Vogts packendem, mitreißenden Energieausstoß.
Weitere Termine: 1. / 4. / 8. / 12. / 26.5, 5.6. Infos und Karten: www.staatsoper-hamburg.de