Hamburg. Wusste Goethe von Fridays for Future? In der Kammeroper geht die Geschichte von Pamina, Tamino, Papagena, Papageno und Co weiter.

Er tobt im Vogelkostüm über die Bühne und haut einen Spruch nach dem anderen raus, aber wenn es gefährlich wird, sucht er lieber das Weite: So kennen wir unseren Papageno. Auch in der „Zauberflöte“, wie sie gerade an der Hamburger Kammeroper uraufgeführt worden ist. Moment, die berühmteste Oper der Musikgeschichte uraufgeführt? Das ist kein flauer Witz. Es handelt sich um die Fortsetzung des Werks von Mozart und seinem Librettisten Emanuel Schikaneder.

Ein paar Jahre nachdem die Paare sich glücklich gefunden haben, sehen sie sich neuen Widrigkeiten gegenüber: Pamina und Tamino haben ein Kind bekommen, aber Monostatos, Diener der Königin der Nacht, hat es in ein goldenes Gefäß eingeschlossen. Nur einem Zauber von Sarastro ist es zu verdanken, dass Monostatos es nicht auch noch mitnehmen konnte. Die Eltern sind ratlos und verzweifelt. Papageno und seine Liebste Papagena wiederum sind zwar rundum mit Wein und anderen Annehmlichkeiten versorgt, aber kinderlos.

Erdacht hat die Fortsetzung kein Geringerer als Goethe. Den Plan dazu fasste er wahrscheinlich, nachdem er die originale „Zauberflöte“ in Weimar erlebte hatte. Sein Text wurde allerdings nicht vollständig vertont und geriet einigermaßen in Vergessenheit.

Theater in Hamburg: Chor ist Novum in der Geschichte der Kammeroper

Umso bemerkenswerter, dass die Hamburger Kammeroper sich vor einigen Jahren daran machte, „Der Zauberflöte Zweyter Theil“ auf die Bühne des Allee Theaters – wo die Kammeroper residiert – zu bringen. Es gibt keine Musik dazu? Das hat findige Opernleute noch nie abgeschreckt. Wozu gibt es schließlich das Institut des Pasticcio, wörtlich „Eintopf“: Man unterlegt dem Text Musik, die bereits mit anderem Text existiert, oft aus ganz verschiedenen Quellen, und baut daraus ein neues Stück zusammen. Für den „Zweyten Theil“ hat der musikalische Leiter Ettore Prandi Arien und andere Vokalwerke von Mozart, Gluck und Vivaldi ausgesucht und bearbeitet. Wie bei Mozart und Schikaneder werden auch hier die Dialoge gesprochen.

Das Team von der Max-Brauer-Allee versteht sich seit jeher darauf, eigene Stückfassungen anzufertigen. Barbara Hass hat das Libretto geschrieben und sich dafür sogar bei „Faust II“ bedient. Und was hat Prandi nicht schon alles auf die wohnzimmerartigen Verhältnisse, insbesondere den winzigen Graben zugeschnitten! Für die fortgesetzte „Zauberflöte“ hat er die klassische Orchesterbesetzung auf Geige, Bratsche, Cello, Flöte und Fagott eingedampft. Dafür stehen allerdings so viele Sänger auf der Bühne wie noch nie.

Sogar ein Chor ist dabei, ein Novum in der Geschichte der Kammeroper. Ihm verdanken sich einige der stärksten Momente des Abends. Nach der langsamen Es-Dur-Einleitung schichtet der Chor flehentliche, drängende Dreiklänge auf wie im „Kyrie“ aus Mozarts unvollendeter Großer c-Moll-Messe. Damit ist der Anspruch des Ganzen schon einmal musikalisch umrissen. Goethe war kein Serienschreiber unter Quotendruck; er verfolgte mit seiner Bearbeitung die Darstellung seiner Weltsicht mit theatralen Mitteln.

Theater in Hamburg: Inszenierung driftet gelegentlich ins Groteske

Dem muss man erst einmal gerecht werden. Der Regisseur Alfonso Romero Mora, die Bühnenbildnerin Kathrin Kegler und die Kostümbildnerin Marie-Theres Cramer gehen von Anfang an in die Vollen. Damen mit giftgrünen VR-Brillen wiegen eine goldene Kugel mit einem Durchmesser von Armlänge, Männer in Science-Fiction-Uniformen spielen Hund, im Hintergrund prangt eine Goethe-Büste, es wird viel herumgelaufen und ziemlich laut und vor allem in sehr kurzer Zeit sehr viel komplexer Text gesungen, kurz: Es ist gerade zu Beginn eine Herausforderung, dem Bühnengeschehen zu folgen. Und Goethes gedanklichen Überbau zu erfassen, sowieso. Die Komprimierung der Mittel lässt Romero Moras Inszenierung öfter in Richtung Groteske driften.

Das Ensemble spielt und singt wie immer mit Herzblut. Die Koloratursopranistin Megan Brunning brilliert als Königin der Nacht in virtuoser Kälte in den höchsten Lagen, Natascha Dwulecki singt die Pamina lyrisch und nuancenreich, und unter den Nebenrollen lässt das warm strömende Timbre von Svenja Schicktanz als Dame der Königin aufhorchen.

Ob Goethe von „Fridays for Future“ wusste?

Die Abstimmung zwischen Bühne und Graben wackelt anfangs noch gelegentlich. Nach der Pause hat die Aufführung ihren Fluss gefunden. Zum guten Ende entsteigt das geraubte Kind als – von Goethe so genannter – Genius der goldenen Kugel, und der junge Countertenor Chen-Han Lin singt eine Vivaldi-Arie von schlichter, zu Herzen gehender Innigkeit. „Wir sind die Zukunft, wir sind das Licht“, sagt er zu den Kindern, die ihn gefunden haben. Ist natürlich von Goethe, das Zitat. Ob er von „Fridays for Future“ wusste?

Weitere Vorstellungen bis 26. Juni, Infos unter kammeroper.alleetheater.de