Hamburg. Um zwei Jahre musste das Konzert des Sängers wegen Corona verschoben werden. 10.500 Fans kamen in die Barclays Arena in Hamburg.

„Wir sollten vor zwei Jahren hier sein. Wir haben auf euch gewartet, also wo zum Geier habt ihr gesteckt? Wir standen die ganze Zeit auf der Bühne“, scherzt James Blunt am Sonnabend in der Barclays Arena. Dann erinnert sich der britische Sänger und Songschreiber an seinen letzten Auftritt in Hamburg am 11. März 2020 in der Elbphilharmonie: Das Corona-Virus war gerade dabei, das Leben auf der Welt komplett umzukrempeln, und so wurden die 2100 Fans, die Karten für seinen Auftritt im Großen Saal hatten, kurzfristig ausgesperrt. Blunt und seine Band spielten trotzdem: vor leeren Sitzreihen, aber für 1,7 Millionen weltweit Zuschauende im Livestream. Ein gespenstisches Ereignis.

Aber „every day is closer to the end“, wie er damals sang. Wer hätte gedacht, dass es zwei Jahre dauern sollte, bis wieder Tausende zu seinen Konzerten kommen können – und die Pandemie noch nicht vorbei ist? In der komplett bestuhlten Barclays Arena haben sich 10.500 Fans versammelt. Ein noch ungewohntes Bild trotz ähnlich gut besuchter Shows von Roland Kaiser im Oktober oder Hans Zimmer im März. 2G+ und dauerhafte Maskenpflicht, außer beim Trinken, sind in der Arena weiterhin Zugeständnisse an die Lage.

James Blunt zieht mit „Love Under Pressure“ das Tempo an

Das Publikum hat deutlich hör- und spürbar eine Menge aufzuholen. Eingerostet ist hier fünf Jahre nach Blunts letztem Auftritt in der Barclays Arena niemand. Nach dem Auftakt mit „Breathe“ singen viele schon den zweiten Song „Wisemen“ so gut es eben geht durch die Masken mit, anschließend illuminieren bei „Carry You Home“ Hunderte Handy-LEDs den Saal. Nicht lang aufhalten mit Auftauen, es geht gleich direkt los in das große, kollektive Gefühl, wenn Blunt mit „The Greatest“ für seine und die Kinder der Welt singt.

Die gut eingespielte vierköpfige Band hat bei gelöster Stimmung im Rund einen entspannten Arbeitsabend, nicht nur wenn Blunt solo am Klavier „Goodbye My Lover“ präsentiert. Seine Lieder verlassen selten gemächliche Gangarten, und die Instrumentierung ist vor allem ein ausgerollter flauschiger Teppich für seine nicht weniger flauschige Stimme. Trotzdem hat das Konzert keine Längen und wirkt nicht heruntergespult wie das Formatradio-Programm, das seit 2005 sehr von seinen Hits bestimmt wird.

Dennoch geht spürbar ein Ruck durch die Ränge, als Blunt und Band mit Discokugel im Rücken und dem an Queen erinnernden „Love Under Pressure“ das Tempo anziehen. Alles steht, ob in den ersten Reihen oder unter dem Hallendach. „Die Stühle sind nur für eure Handtaschen, ich hole jetzt das große Kaliber raus“, verspricht Blunt – und greift für „Postcards“ zur Ukulele.

Mit Gasmaske marschiert James Blunt durch die Reihen

Schweres Geschütz drückt auch auf die Tränenkanäle bei „Monsters“, begleitet von eingespielten Fotos von James mit seinem Vater Charles. Das Lied, 2019 als Single veröffentlicht, ist als „Grabrede“ für ihn gedacht gewesen, „außer, dass mein Vater noch quicklebendig ist“, wie Blunt seinerzeit erklärte. Ein Spenderorgan rettete den schwer nierenkranken Charles wenige Monate später.

Das Jenseits ist leider immer präsent, in Zeiten wie diesen ganz besonders. Blunt rettet sich in schwarzen britischen Humor und zieht sich eine Gasmaske über den Kopf, bevor er zum Slade-Cover „Coz I Luv You“ den kompletten Innenraum der Arena abläuft. Das kurz vergessene mulmige Gefühl beim Sitzen – und Stehen – inmitten von über zehntausend Menschen, stellt sich wieder ein und verbleibt auch bei seinem Durchbruchs-Hit „You’re Beautiful“ und beim von Robin Schulz ausgeliehenen „OK“. Nach 90 Minuten beschließen „Bonfire Heart“ und „1973“ den Abend.

Sanfte Lieder und derber britischer Humor

Den Fans hat die emotionale Show gut getan, und auch James Blunt ist spürbar erleichtert, wie er schon bei seiner ersten, sehr langen Ansage erzählt. Vor zwei Jahren sagte er notgedrungen „tschüs“ zu seiner Band, und seine Band antwortete „verp … dich“, dann ging es in den Lockdown. Den musste Blunt „mit meiner Schwiegermutter verbringen: 68 Tage, elf Stunden und 36 Minuten. Ich verdiene einen Orden dafür. Aber keine Sorge, ich habe es überlebt, und sie ist nicht mehr unter uns. Sie liegt in einem flachen Grab hinter dem Haus. Meine Frau denkt, sie ist in Mexiko. Aber erzählt das niemanden“, warnt er besonders die anwesenden Journalisten: „Wenn ihr das schreibt, liegt ihr neben ihr“.

Na, das wollen wir ja mal sehen. Schließlich ist das auch nur britischer Humor, und was sollte schon für eine Gefahr von einem dünnen, harmlosen Schmusesänger ausgehen – der für seine Popkarriere als kampferfahrener Hauptmann beim Eliteregiment Life Guards der britischen Armee ausschied?