Hamburg. Auch mit einer Schweigeminute sendet das Kammermusikfest eine Solidaritätsbotschaft. Das Konzert spendet noch auf andere Weise Trost.
Eine schlichte Melodie schwebt in den Saal, zart und zerbrechlich. Es ist die Nationalhymne der Ukraine, gespielt vom Trompeter Simon Höfele. Er steht ganz oben in den Gängen der Elbphilharmonie, wo ihn niemand sehen kann. Mit diesen Klängen und einer Schweigeminute sendet das Kammermusikfest eine leise Botschaft für die Empathie und gegen den mörderischen Angriffskrieg.
Formuliert vom Moderator Ludwig Hartmann – Vorsitzender der Hamburger Kammermusikfreunde –, der genau den richtigen Ton findet, um die bedrückende Situation in Osteuropa anklingen zu lassen. Auch, wenn er zwischendrin um einen besonders herzlichen Applaus für die Notenwenderin bittet, deren Familie gerade in Kiew im Keller ausharren muss.
Nationalhymne der Ukraine erklingt in der Elbphilharmonie
Der Abend klammert die grausame Realität nicht aus – und rückt trotzdem den Reichtum der Kammermusik ins Zentrum. Mit einem abwechslungsprallen Programm aus vertrauten Werken und unbekanntem Repertoire, interpretiert von aufstrebenden und lange etablierten Künstlerinnen und Künstlern.
Die große Entdeckung ist das Azahar Ensemble. Ein spanisches Bläserquintett, das selbst einige Entdeckungen im Gepäck hat. Darunter ein hinreißendes Stück des Beethoven-Zeitgenossen Anton Reicha, in dem die Bläserinnen und Bläser nicht nur ihre fein austarierte Klangkultur demonstrieren, sondern auch eine frische Art der Kommunikation. Die fünf bewegen sich wie in einer eigenen Choreographie, als würden sie sich die Motive zutanzen.
Ganz anders, aber nicht minder lebendig: Das Allegro vivace aus dem Sextett für Bläser und Klavier von Poulenc, mit seinen jahrmarktbunten Farben. Das Stück wirkt wie eine Fahrt im Karussell – angeschoben vom Azahar Ensemble und der Pianistin Elisabeth Brauß, die Präzision und sprühende Energie vereint.
Elbphilharmonie: Die besondere Macht der Musik
Brauß und der virtuose Trompeter Simon Höfele repräsentierten zusammen mit den Azahars die junge Generation der Endzwanziger bis Mittdreißiger. Sie treffen beim Kammermusikfest auf den erfahrenen Kontrabassisten Ulrich Wolff und das Auryn Quartett. Ein ruhmreiches Ensemble, das über 40 Jahre und rund 3000 Konzerte in derselben Besetzung zusammengeblieben ist – und das nun in Hamburg seinen Abschied gibt. „Ein großer Abschnitt, der da zu Ende geht“, bekennt der Cellist Andreas Arndt, spürbar bewegt, im Interview mit Ludwig Hartmann.
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Arndt und seine drei Mitstreicher bereichern das Kammermusikfest zunächst mit kürzeren Beiträgen zum Programm, im Wechsel und Zusammenspiel mit ihren Kolleginnen und Kollegen, etwa bei Auszügen aus dem Septett von Saint-Saens, bevor sie mit dem Quartett op. 59,2 von Beethoven das letzte Wort haben.
Gerade im überirdisch schönen Adagio ist die besondere Macht der Musik zu spüren: Sie kann zum Unsagbaren vordringen und uns mit den eigenen Emotionen verbinden – und sie schafft zugleich eine eigene, bessere Realität. Ein unendlich kostbares Trostpotenzial, gerade in dieser Zeit.