Hamburg. Die turbulente Komödie „Bares is nix Rares“ sorgt am Heidi-Kabel-Platz für mehr als zwei Stunden Frohsinn. Im Zentrum: Erkki Hopf.
Schräg gegenüber vom Ohnsorg-Theater ist das Deutsche Schauspielhaus abends derzeit in Blau-Gelb illuminiert, den Farben der Nationalflagge der Ukraine. Ein sichtbares Zeichen der Solidarität. Ein anderes Zeichen kann es sein, trotz der russischen Invasion die Premiere einer Komödie in Hamburg zu begehen – nicht zu feiern.
Und so griff Ohnsorg-Intendant Michael Lang nach der Würdigung aller Beteiligten bei „Bares is nix Rares“ auf der Bühne einen zentralen Satz des Stücks auf: „Da muss wohl irgendein Versehen vorliegen“. Angesichts der bedrückenden Ereignisse in der realen Welt wünschte man sich, „dass sich alle noch so abstrusen Lügengebilde innerhalb von zwei Stunden zwanzig in Wohlgefallen auflösen würden“, sagte Lang. „Der reale Irrsinn sieht leider anders aus. Aber gewiss ist, dass gerade in diesen Zeiten die Stimme, die Melodie, die Farbe und der Ausdruck von Kunst nicht schweigen und verstummen dürfen auf der Suche nach Sinn und Unsinn, zur Reflexion, zum Diskurs, als verbindendes Element“, schloss der Ohnsorg-Chef.
Ohnsorg-Theater: Komödie lenkt kurzfristig vom Kriegsgeschehen ab
Und für das schon seit zwei Jahren geplante Stück des englischen Autors Michael Cooney - sein Vater Ray (89) schrieb absurde Komödien wie „Hasch mich, Genosse!“, „Alles auf Krankernschein“ und „Funny Money“ – hat das niederdeutsche Theater fast alle aufgeboten, die im Ohnsorg-Ensemble für Komik stehen. Dazu bewährte Hamburger Gäste aus dem komödiantischen Fach, mit zehn Schauspielerinnen und Schauspielern so viele wie zuletzt in Vor-Corona-Zeiten.
Im Zentrum von „Bares in nix Rares“ (Originaltitel: „Cash on Delivery“) steht Erkki Hopf. Er spielt Erik Schwarz - einen Angestellten, der vor Jahren seine Arbeit verloren hat, jedoch nicht die Chuzpe hat, dies seiner Ehefrau zu gestehen. Stattdessen hat er für das Sozialamt mehrere Untermieter erfunden und kassiert in deren Namen alle möglichen Gelder - von Altersrente bis Reha-Geld. Als ein Mitarbeiter vom Amt mit der verdammt dicken Akte für das Haus Schwarz vor der Tür steht, gerät das ganze (Lügen-)Gebäude ins Wanken.
Premiere im Ohnsorg: Grünberg schlüpft in immer neue Figuren und Fummel
Einmal mehr glänzt Hopf in einer komödiantischen Paraderolle. Wie er sich Sozialschmarotzer de luxe windet und wandelt, dass man als Zuschauer mit ihm mitleidet, ist auch körperliche feine Schauspielkunst. Wie so oft lässt Hopf in seiner Figur jene Tragik durchblitzen, die ihm die Sympathien sichert. Jedoch hat Hopf in „Bares is nix Rares“ bis in die Nebenrollen kongeniale Mitstreiter und Kolleginnen sowie eine schäumende Waschmaschine (!), die die ganze Chose erst zu einer turbulenten Farce mit Verwechslungen und Verwirrungen, Irrungen und Wirrungen gestalten. Allen voran den aus dem Ohnsorg-Studio bekannten Peter Christoph Grünberg („De lütte Herr Jemine“), die wohl lustigste Zahnlücke, seit das Theater am Heidi-Kabel-Platz steht.
Als Eriks Untermieter Norbert Dobermann schlüpft Grünberg in immer neue Figuren und Fummel – je nachdem, was Erik gerade helfen könnte. Norbert stellt sich taub, und wenn er dann doch das Telefon hört, erklärt das Schwindel-Schwarz im Beisein des Sozialamt-Mitarbeiters mit „Phantomklingeln“. Jenen Herrn Janssen gibt Konstantin Graudus als gewichtig-untertänigem Beamten, dem seine Vorgesetzte Frau Kuhlmann (üppig-streng: Meike Meiners) wie Blitz und Donner droht.
Birte Kretschmer hätte man mehr Spielanteile gewünscht
Schon am Anfang wird Janssen vom Hausherrn die Wohnungstür vor der Nase zugeknallt. Und da Ausstatterin Beate Zoff (Bühne und Kostüme) in ihrer prächtigen Kulisse noch drei weitere Türen, einen Aufgang zum Dach, einen geheimen Wandschrank und eine Truhe verankert hat, ist alles bereitet für eine irrwitzige Klipp-Klapp-Komödie. In der bleibt kaum eine Tür lange geschlossen und ein Auge trocken.
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Beate Kiupel spielt die ahnungslose Ehefrau gekonnt mit kleinen Empörungsgesten, Robert Eder den von ihr bestellten Eheberater als komischen Langhaar-Softie mit Mittelscheitel und Yogatick. Und dass Rabea Lübbe – hier als umarmungssüchtige Jugendamts-Mitarbeiterin Nele – eine Fachfrau für leicht verpeilte Charakter ist, hat sie im Ohnsorg schon zuvor gezeigt. Birte Kretschmer hätte man als Norberts ins Haus stolpernde Verlobte Bea zu ihrem 25. Jubiläum als Ensemblemitglied etwas mehr Spielanteile gewünscht.
Premierenpublikum bedankt sich mit minutenlangem Applaus
Frank Grupe muss als Onkel „Schorsch“ körperlich am meisten einstecken, als vermeintliche Leiche sieht er in Gegenwart eines Bestatters (Quatis Tarkington) buchstäblich schwarz. Grupes Nachfolger als Ohnsorg-Oberspielleiter, Murat Yeginer, lässt allen in seiner Inszenierung Zeit und Raum zum Austoben und für jede Menge Slapstick. Das Timing stimmt, obwohl der Regisseur jede noch so absurde Volte des englischen Autors mitmacht. Sei’s drum, dieses komische Chaos ist mit rationaler Logik nicht zu erklären. Ebenso wenig wie die traurige Realität draußen in der Welt.
Das Premierenpublikum konnte davon mehr als zwei Stunden lang Abstand gewinnen und dankte dem Ensemble mit minutenlangem Applaus. Auch die Worte des Intendanten fanden ihren Beifall.
„Bares is nix Rares“ wieder Mi 2.3., 16.00 und 20.00, bis 23.4. täglich außer Mo 20.00 (So 16.00), Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 28,- bis 36,- unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de