Harburg. Teil 3 der Kempowski-Saga „Ein Kapitel für sich“ läuft aktuell am Harburger Theater. Das Thema: Krieg. Zwei neue Schauspieler sind dabei

In zerrissener Militäruniform kommt Robert Kempowski aus dem Zweiten Weltkrieg wieder, zaubert seiner Mutter Grethe und seinem Bruder Walter ein Lächeln ins Gesicht. So beginnt Teil 3 der Kempowski-Saga, „Ein Kapitel für sich“. Später wird Robert Kempowski für das Harburger Theaterpublikum nur noch in adrettem dunkelgrünem Anzug mit auffälliger schwarzer Brille zu sehen sein. Als Älterer von beiden Brüdern wird er zum Familienoberhaupt. Als Vaterersatz muss er jetzt die Verantwortung übernehmen.

„Ein Kapitel für sich“ feierte am Donnerstag nun auch am Harburger Theater Premiere. Vor rund drei Jahren war das Stück, in dem Regisseur Axel Schneider zwei Teile aus Walter Kempowskis autobiografischer neunteiliger Romanfolge miteinander verwebt, zum ersten Mal am Altonaer Theater zu sehen. Im Süden Hamburgs hatte man warten müssen – rund ein Jahr lang wurde der dritte Teil der Pandemie wegen verschoben und verschoben.

Nun also endlich! Trotz der weiterhin geltenden Corona-Maßnahmen – auch am Platz herrschte Maskenpflicht – war der Saal am Donnerstag gut gefüllt, wenngleich nicht ausgebucht. Das Theater Harburg hatte zuletzt vor Weihnachten Stücke gezeigt, danach waren zwei Premieren wegen Krankheit abgesagt worden.

Im ersten Teil des rund zweistündigen Stücks wird noch gelacht

Im ersten Teil des rund zweistündigen Stücks wird noch gelacht, in einigen Szenen Musik gespielt und getanzt – denn ganz schlecht geht es der Familie nie. Im zweiten Teil dann der Bruch: Walter und Robert Kempowski werden vor ein russisches Kriegstribunal gestellt. Die Lage spitzt sich zu, die Familie wird weiter zerrissen. Auch Mutter Grethe wird gen Ende des Stückes festgenommen.

Robert Kempowskis Rolle übernimmt auf der Harburger Bühne Hannes Träbert. Der Hamburger hat wegen eines Krankheitsfalls für einen Kollegen übernommen und ist somit einer von zwei neuen Schauspielern, die das Harburger Publikum auf der Bühne entdeckt.

Schon im Januar 2021 kam Träbert an fünf Probetagen für die ersten beiden Kempowski-Stücke von Schneider nach Harburg. Träbert erinnert sich, dass mit FFP2-Maske geprobt wurde. Allerdings kam es nie zu Aufführungen mit ihm – auch hier musste coronabedingt verschoben werden. Davor waren die beiden Stücke allerdings schon in Harburg angelaufen.

„Corona liegt immer noch wie ein Schleier über allem, die vergangenen zwei Jahre stecken uns allen in den Knochen“, sagt Träbert, der bis vorige Woche in „Olympia“ am Altonaer Theater zu erleben war. Wenn er jedoch die Bühne betrete, sei sofort eine andere Energie da: „Auf der Bühne bewegen wir uns frei, wie in einer anderen Welt.“ Er freue sich deswegen sehr, aktuell auf der Bühne mit dem Kempowski-Epos zu verschmelzen, sagt Träbert.

Persönlicher Bezug zum Theaterstoff

Der 37-Jährige hat einen persönlichen Bezug zum Theaterstoff. Sein Vater habe aus der ehemaligen DDR „rübergemacht“ und sein Onkel sei für eineinhalb Jahre im DDR-Gefängnis gelandet, weil er zuvor einen Ausreiseantrag gestellt hatte. „Aus heutiger Sicht waren die Umstände, die ihn in den Knast brachten, unverhältnismäßig“, sagt Träbert.

Marion Gretchen Schmitz ist der zweite Neuzugang für die insgesamt sieben Vorstellungen in Harburg. Und sieben Rollen auf einen Schlag fielen der 49-jährigen Hamburgerin vorige Woche zu. „Wo haben Sie Waffen in Ihrer Wohnung versteckt?“ ruft sie als strenge russische Kommandantin, in steifer Uniform, mit zurückgesteckten Haaren. Mit ihren Kameraden durchsucht sie die Wohnung der Kempowskis nach Waffen und sonstigen Gütern. Rabiat und rigoros geht sie vor. Dabei legt sie mit einem starken russischen Akzent eine Autorität an den Tag, die den Zuschauer erschaudern lässt. In einer anderen Szene spielt Schmitz die strenge Tante aus Wandsbek, in dicker Strickjacke und knöchellangem Rock. Über den Besuch ihres Neffen Walter ist sie nicht sonderlich erfreut.

In der vergangenen Woche habe sie täglich von morgens bis abends die Texte gelernt, berichtet Schmitz. Die Aktionen habe sie sich anhand von Videos angeeignet. Und immerhin habe sie bei der Premiere in Altona selbst im Publikum gesessen. „Ich musste mir aber auch einprägen, wie viel Zeit ich habe, um mich zwischen den Rollenwechseln umzuziehen“, beschreibt die Schauspielerin, die ab und zu auch im Fernsehen zu sehen ist, Texte einspricht oder literarischem Stoff bei Lesungen Stimme verleiht.

Anfang der vergangenen Woche begannen die Proben auf der Harburger Bühne, von ihren Kollegen gab es jede Menge Input. „Ich wurde sehr gut aufgenommen“, sagt Schmitz. Zum Spielbetrieb gehören mittlerweile regelmäßige Corona-Tests und hinter der Bühne wird noch immer Maske getragen. Auf der Bühne sei man mittlerweile fast wieder zur Normalität übergangen. „Das ist eine große Erleichterung, auch wenn wir alle gebrieft sind, dass noch immer Vorsicht geboten ist“, berichtet die erfolgreiche Schauspielerin.

Montag spielt Schmitz in „Soko Hamburg“

Die Corona-Zeit habe sie dank des Gefühls, gemeinsam mit anderen in einem Boot zu sitzen, überstanden, sagt Schmitz. Zwischenzeitlich sei ihr alles an Jobs – wie den meisten Freiberuflern in der Kreativbranche – weggebrochen. Corona-Hilfen und Kurzarbeitergeld im Rahmen einer geplanten TV-Produktion halfen: „Ich bin sehr dankbar dafür, dass es diese Möglichkeiten in Deutschland gibt“, sagt Schmitz.

Etwas Positives habe sich aber auch entwickelt: In digitalen Netzwerken finde wesentlich mehr Branchenaustausch statt, überhaupt gäbe es mehr Netzwerke. „Jetzt kriege ich mehr mit“, sagt Schmitz, die zuletzt in Altona und auch in Bergedorf in „Loriots Dramatische Werke“ zu sehen war. Am 12. April feiert das Stück auch in Harburg Premiere. Am heutigen Montag spielt Schmitz außerdem in „Soko Hamburg“, ausgestrahlt im ZDF, mit.

Bei „Ein Kapitel für sich“ fasziniert Schmitz insbesondere die Geschichte der Mutter, der so viel Unrecht widerfährt und die dennoch mit ihrem letzten Hemd die Söhne unterstützt: „Die Unfassbarkeit des Unrechts, das hier passiert, ist sehr berührend.“ Menschen würden einfach so zum Spielball werden, führt Schmitz aus.

Trotz der schwerwiegenden Thematik verfliegt der Theaterabend wie im Nu. Lebhaft durch die intensive Darstellung der Schauspieler, vermittelt es ein Gefühl für die Zeit im Nachkriegsdeutschland. Eindrucksvoll werden Ungerechtigkeiten dargestellt. Rund 80 Jahre nach den Ereignissen, auf denen es beruht, trägt das Theaterstück weiter, wozu Zeitzeugen wohl bald nicht mehr imstande sind.

Und gerade im Hinblick auf den aktuell wieder aufkeimenden Konflikt zwischen Ost und West, erhält das Stück eine neue Relevanz.