Hamburg. Es geht um Liebe, Armut, Verzweiflung und Tod: Auch bei der Wiederaufnahme zehn Jahre nach der Premiere begeistert „Liliom“ noch.

So ein wenig beschwingte Leichtigkeit tut ja doch gut in diesen Sturm gepeinigten Tagen. Da kommt die Wiederaufnahme von John Neumeiers Ballettlegende „Liliom“ frei nach Ferenc Molnár zehn Jahre nach der bejubelten Uraufführung gerade recht mit ihrem Jahrmarktrummel, den fröhlich bunten Luftballons und der jazzigen Musik von Michel Legrand. Aber es geht natürlich trotzdem um alles: Liebe, Armut, Verzweiflung und Tod.

Das nostalgische Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer aus bunten Glühbirnen hat nichts von seinem Charme verloren, „Playland“ besagt der fast verblichene Schriftzug am Karussell lehnend, das schon bessere Tage gesehen hat. Hier schaukelt mit dem ehemaligen Karussellausrufer Liliom nunmehr ein Untoter. 16 Jahre nach seinem Ableben darf er aus dem Fegefeuer kurz ins Diesseits zurückkehren, um seinen Sohn zu sehen. Er wird ihn ohrfeigen wie einst die Mutter, Julie, die sich kurz darauf der Geschichte erinnert.

Hamburg Ballett: „Liliom“ begeistert mit Nostaligie

John Neumeier hat die Handlung im Schaustellermilieu der Vereinigten Staaten der 1930er-Jahre angesiedelt. Es herrschen Depression und Arbeitslosigkeit. Die Choreographie besticht mit großen Tableaus des Corps de Ballet, die den volkstümlichen Charakter noch betonen. Kellnerinnen wirbeln lebhaft mit Gaunern und Karussellschreiern über die Bühne.

Mittendrin verliebt sich der Ausrufer Liliom in die brave Kellnerin Julie. Doch dieser Liliom ist ein grob geschnitzter, ungehobelter Rebell, der sich aufs Bein schlägt und den Kopf unwirsch zurückwirft. Der athletische Karen Azatyan tanzt erstmals die höchste Kondition fordernde Titelrolle und er tut dies atemberaubend schwungvoll, dabei mit höchster Präzision und großem Feingefühl. Aus dem Stand legt er einen Luftspagat hin und tänzelt mit laszivem Hüftschwung über die Bühne. In Lederhose und bloßem Oberkörper bringt Liliom die kreischende Damenwelt um den Verstand.

Anna Laudere glänzt erneut in einer reiferen Rolle

Ihm zur Seite tanzt – wie schon in der Uraufführung, damals allerdings mit Carsten Jung – Alina Cojocaru als gutgläubig zurückhaltende und doch in der Liebe unbeugsame Julie. Weil Azatyan dem virilen Stereotyp mit seiner gekonnt zusammengedachten Mischung aus Brutalität und Zärtlichkeit einige wohltuende Brüche hinzufügt, finden schließlich er und die in einem etwas unscheinbaren Kittelkleid mit Luftballon auf einer Bank sitzende Julie in Liebe zueinander. Doch Liliom hat noch eine Affäre mit der Karussell-Betreiberin Frau Muskat, die ihn schließlich feuert. Erneut glänzt die ätherische Anna Laudere in einer reiferen Rolle.

Als Liliom keine andere Arbeit findet, hat der Kriminelle Ficsur mit seinen krummen Ideen leichtes Spiel. Aleix Martínez gibt ihn mit verführerischer Verschlagenheit und zeigt erneut seine starke Rollenkompetenz. Ein Coup misslingt. Ein toter Liliom liegt aufgebahrt auf dem Tisch, an dem eben noch die Hochzeit von Julies Freundin Marie (getanzt von Emilie Mazon, mit dem von Alessandro Frola heiter gegebenen Wolf Beifeld) gefeiert wurde. Nicht nur in dieser Szene begeistert der famose Zusammenklang des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg und der NDR Bigband unter der Leitung von Nathan Brock mit zarten Streichern, laszivem Saxophon und überhaupt sattem Blech-Klang – und sogar einem Schlagzeugsolo.

Hamburg Ballett: Die Liebe eines ungleichen Paares

Die Choreographie, die sich stark beim zeitgenössischen Tanz bedient, hat von ihrer Faszination nichts verloren. Man sieht gestreckte Arme, lebhafte Drehungen, Ausdruck inneren Gefühls – und, ja, auch einen Hauch von Sentimentalität. Der Tanz ist zeitlos modern und ideenreich, wenn etwa Liliom in der Unterwelt auf sechs furios auftanzende, in roten Samt gewandete Teufel und einen von Nicolas Gläsmann aasig gegebenen Konzipisten trifft. Und sie offenbart eine wunderbare Poesie, etwa wenn Julies heranwachsender Sohn einen Ballon verliert, der bei seinem Vater Liliom im Jenseits ankommt.

Im Zentrum aber steht das große Tanz-Paar Karen Azatyan und Alina Cojocaru, das zu einer zunächst doch unwahrscheinlichen Innigkeit findet. Die Liebe des ungleichen Paares berührt in all ihrer glaubhaften Aufrichtigkeit. Und in der Unausweichlichkeit des Schicksals, wenn der mit großer Intensität tanzende Ensemble-Neuzugang Louis Musin als Sohn Louis den gleichen rebellischen Geist zeigt wie der Vater.

„Liliom“ weitere Vorstellungen 22.2., 19.30 Uhr, 24.2., 19.30 Uhr, 25.2., 19.30 Uhr, 27.2., 16 Uhr, 30.6. 19.30 Uhr, Staatsoper Hamburg, Dammtorstraße 28, Karten unter T. 35 68 68; www.hamburgballett.de