Hamburg. Hamburgs traditionsreichstes Off-Theater hat derzeit zwei Adressen. Statt an der Friedensallee folgt der Neustart an der Gaußstraße.
Nomen est Omen: „Umkämpfte Zone“ lautet der Titel der nächsten Premiere im Monsun Theater. Indes, wo und wofür steht das Monsun eigentlich noch? So viel vorweg, Hamburgs traditionsreichstes Off-Theater, eröffnet 1980 im Herzen Ottensens, hat als Bühne für die Freie Szene neuerdings zwei Adressen. Geplant war das so nicht, doch das ist eine längere Geschichte.
Das Haus im verlassen wirkenden Hinterhof an der Friedensallee hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Zuletzt kulturell etwas los mit Live-Publikum war hier am 22. Februar 2020, daran erinnert sich Monsun-Theater-Intendantin Francoise Hüsges genau. Damals kam Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) zum Spatenstich für den barrierefreien Ausbau. Kurz darauf kam Corona, doch saniert, aus- und umgebaut werden sollte weiterhin. Eigentlich nur gut sechs Monate lang, die Bürgerschaft und der Bezirk Altona hatten dafür 820.000 Euro bewilligt, dazu kamen 400.000 Euro Eigen- und Drittmittel.
Theater Hamburg: Monsun Theater eine Baustelle
Fast zwei Jahre später steht Hüsges im ersten Stock des Monsuns, draußen wird es bereits dunkel, die Kälte kriecht durch die Mauern. Klar wird: Dieses Leben ist eine Baustelle. Das ehemalige Foyer hier oben ist kaum betretbar, vorsichtig geht es über Bohlen, vorbei an Kabeln und Leitern. Über Hüsges’ früherem Büro sind dunkle Deckenhölzer mit einem weißen Überzug sichtbar.
Hummel, Hummel, morsch, morsch!, möchte man da rufen. Lange Zeit hat sich hier gar nichts getan, erst im Februar 2021 schien es weiterzugehen. Doch der Blick in den (ehemaligen) Theatersaal verrät: Die Techniketage, von der aus Licht und Ton geregelt wurden, ist ebenso wie die Sitztribüne für die hier 79 zugelassenen Besucher weg. Ein schwarzer Flügel mit abgedeckter Plane staubt vor sich hin.
Theaterbetrieb wird lange auf sich warten lassen
Im Erdgeschoss soll mal eine Studio-Werkstattbühne entstehen, erzählt Francoise Hüsges. Im vorigen April hat sie mit der Aufführung „Filetstücke“ ihr Umbauprojekt zum Thema gemacht - digital, im Verbund mit der Vaganten Bühne Berlin. Das Einzige, was hier unten bisher saniert wurde, sind die Toiletten mit einer für Künstler gedachten Dusche. Erahnen lässt sich, dass es mal schön werden könnte.
„Es wird noch lange dauern, bis hier wieder Theaterbetrieb herrscht“, sagt Hüsges nun zurück auf dem Hof. Nachdenklich blickt sie auf das 124 Jahre alte denkmalgeschützte Gebäude, in dem bis in die 1970er-Jahre noch eine Senffabrik stand. Jeweils ihren „Senf“ zur Sanierung dazugeben haben inzwischen viele, ein angeordneter Baustopp mit Bezug auf die Dacharbeiten jüngst im Herbst war die gravierende Folge. Deshalb konnte das Monsun den Theatersaal nicht mal wie zugesichert als provisorische Spielstätte nutzen.
Standort Gaußstraße macht Hoffnung
Auf der Straße begegnet Hüsges einer alteingesessenen Nachbarin aus dem Hinterhof. „Hallo, warum immer noch nicht fertig?“, radebrecht die Frau neugierig. Kürzer als die Erklärung dafür – nämlich nur gut fünf Gehminuten – ist der Weg zur Gaußstraße, jener Adresse, die Hüsges Hoffnung macht. Es geht jedoch nicht zur Hausnummer 190, in dem seit Jahren das Thalia Theater seine Zweitbühne hat.
Ziel ist die Ecke Bahrenfelder Straße. Das Schild „monsun.theater Gaußstraße 149/Haus 2“ ist an der Straße bereits montiert, und als Hüsges hinter dem modernen Vivo-Center eine Tür aufschließt und das Licht anschaltet, tut sich Großes auf. Hier, im ehemaligen Fahrradlager des Fundbüros Hamburg, haben sie und ihr kleines Team nun 800 Quadratmeter Platz für Theaterarbeit.
Haupt-Vermieter ist die Sprinkenhof GmbH
Erst im Dezember hatte die Chefin auf der Suche nach einer Ersatz-Spielstätte mithilfe der städtischen Hamburg Kreativ Gesellschaft das Angebot für diesen Großraum erhalten, Mitte Dezember unterschrieb sie den ab Januar gültigen Mietvertrag; Haupt-Vermieter ist die ebenfalls mit der Stadt verbundene Sprinkenhof GmbH. „Ich musste das tun, oder es hätte bedeutet, mit dem Monsun Theater Schluss zu machen“, sagt Francoise Hüsges. Manchen der dem Haus verbundenen Künstlerinnen und Künstler habe sie mangels Spielstätte bereits absagen müssen.
120 Prozent, so Hüsges, habe sie in den zurückliegenden beiden Jahren, für den Erhalt des Theaters gegeben, allein 60 Stunden Zeit pro Woche für die Baumaßnahmen, die andere Hälfte für die eigentliche Theaterarbeit. Dazu die vielen schlaflosen Nächte wegen der unsicheren Zahlen und alleinigen Verantwortung für die Zukunft des Theaters.
Intendantin suchte sich Hilfe
Vom geplanten Baubeginn an habe sie sich immer wieder mit dem rund 1000 Seiten dicken Bauhandbuch VV Bau (eine Sammlung von Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Informationen über die Durchführung von Bauaufgaben Hamburgs) beschäftigt – ein Umfang, der normalerweise für zehn bis 15 Textbücher reicht. Erst seit sie von der Stadt das Okay bekommen hat, sich einen Sachverständigen an die Seite zu holen, der ihr hilft, mit dem Eigentümer des Gebäudes und der Stadt in weiter zu verhandeln, sieht die Intendantin wieder mehr Licht am Ende des dunkles Tunnels. Ein gutes Modell, eine nötige Hilfe auch für andere derart betroffene Kulturschaffende, meint sie.
Vorbei sein soll die Zeit, als Francoise Hüsges aufgrund der (Raum-)Not das Stück „Bruchlinien“ aus der eigenen Wohnung gestreamt hat oder wie noch Anfang Januar die Bühnenfassung von „Der Hals der Giraffe“ aus dem Westwerk an der Admiralitätstraße als Hybrid-Vorstellung hat spielen lassen. Schauspielerin Julia Weden und Regisseurin Kathrin Mayr sind erneut mitbeteiligt, wenn „Umkämpfte Zone“ am 17. Februar im Monsun Theater Gaußstraße Premiere haben wird.
40.000 Euro von der Kulturbehörde
Clemens Mädge, mit Mayr für beider Adaption des Kästner-Romans „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ 2020 mit dem Theaterpreis Hamburg ausgezeichnet, ist wie die Regisseurin ein langjähriger Wegbegleiter der Off-Bühne. Mädge hat jetzt die Buchvorlage der Autorin und Ex-DDR-Leichtathletin Ines Geipel mit dem Untertitel „Mein Bruder, der Osten und der Hass“ für die Gegenwart bearbeitet.
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Hüsges hat für dieses Stück rund 40.000 Euro aus dem Privattheater-Projektmittel-Fördertopf der Kulturbehörde bewilligt bekommen - vorausgesetzt, es wird aufgeführt. Die Intendantin deutet auf Rohre an der Decke und erste daran montierte Scheinwerfer. Einen Bühnenraum mit schwarzem Vorhang, Tischen und Stühlen hat sie für die erste Probe bereits eingerichtet. Selbst ist die(se) Frau.
Das Monsun bieten zurzeit alle Vorstellungen hybrid an
Die Chefin wird das komplette Bühnenbild gestalten und mit sechs Kameras die Bildregie führen. Das Monsun bieten zurzeit alle Vorstellungen hybrid mit Online-Tickets an. Hüsges deutet auf den Lageplan für die provisorischen Theaterhalle, sogar der Platz für ein eigenes Büro sei noch drauf und drin. Ohne den Verein MenscHHamburg e.V. und dessen unverhoffte Spende kurz vor Weihnachten wäre sie in der neuen Halle gewiss noch nicht so weit. Von der Kulturbehörde und dem neuen Privattheater-Referenten René Born fühlt sich Hüsges ebenfalls sehr unterstützt.
Und weil das Monsun Theater Gaußstraße inklusive der benachbarten Toiletten barrierefrei ist, möchte Francoise Hüsges in diesem Jahr nach zwei Jahren Pause erneut das inklusive Theaterfestival „Aussicht“ veranstalten, das sie selbst 2017 initiiert hat. Trotz des Stillstands auf der Baustelle im alten Monsun scheint sie in die vergangenen Wochen fast mehr bewegt zu haben als in eineinhalb Jahren zuvor. Eine echte Theater-Macherin in mehrfacher Sicht, eine Kämpferin an gleich mehreren Fronten.
„Umkämpfte Zone“ Premiere Do 17.2., auch Fr 18./Sa 19.2., jew. 20.00, Monsun Theater Gaußstraße (Bus 16), Gaußstraße 149/Haus 2, Karten zu 13,.- bis 25,- (digital: 8,- bis 18,-); www.monsun.theater