Hamburg. Der russische Pianist, der lange in Hamburg lehrte, sorgt in der Laeiszhalle für Glücksmomente und eine große Überraschung.

Bach mit dem russischen Pianisten Evgeni Koroliov. Das ist ein Gütesiegel. Für Bach- und Koroliov-Fans, Kenner und Liebhaber, ein Muss. Und alle Tage hört man „Das wohltemperierte Klavier“ (Band 1) nicht live. So war die Laeiszhalle – soweit es die Pandemie-Abstandsregeln zuließen – gut besetzt. Einmal mehr bestätigte sich der legendär gewordene Ausspruch des Komponisten György Ligeti, er würde Koroliovs Bach mit auf die einsame Insel nehmen.

Dass 24 Präludien und Fugen ein pures Vergnügen sein können, ist nicht selbstverständlich. Kaum ein Pianist spielt Bach strukturell so klar wie Evgeni Koroliov, sind ein Thema oder eine Begleitstimme noch so versteckt in der Mittellage. Koroliov gab jedem Detail eine eigene Farbe oder Artikulation. Er sorgte für einen organischen Puls – ruhig, tänzelnd oder fließend –, und er machte durch dynamische Abstufungen Strukturen klar. Bach unterm Brennglas, aber niemals akademisch.

Laeiszhalle: Evgeni Koroliov begeistert mit Bach-Konzert

Und klar, Bach selbst hat schon für Abwechslung gesorgt. Zum einen durch die Tonarten, zum anderen liegt jedem Präludium eine andere kompositorische Idee zugrunde. Es gibt kürzere und ziemlich lange Fugen, leichtere und monumentale, von zwei- bis fünfstimmig, mit mehreren Fugenthemen, virtuos variiert, verkürzt, gedehnt oder übereinandergeschichtet.

Eine Überraschung gab es doch: Kenner der Materie horchten bei Koroliov spätestens beim dritten Präludien- und Fugenpaar auf. Üblicherweise geht es die Tonleiter in Halbtonschritten aufwärts durch die 12 Töne einer Oktave. C-Dur/c-Moll, Cis-Dur/cis-Moll usw. Das sind harte Tonartenwechsel, von „keine Vorzeichen“ zu sieben Vorzeichen.

Koroliov probierte eine andere Abfolge aus, um die Tonarten weniger krass zusammenprallen zu lassen. Auf c-Moll folgte nicht Cis-Dur, sondern Es-Dur, die Paralleltonart mit den gleichen Vorzeichen. Und weiter folgte immer eine sogenannte „verwandte“ Tonart mit ähnlichen Vorzeichen.

Koroliov: Fulminanter Abschluss beim Bach-Konzert

So war dann das letzte Präludien-/Fugenpaar nicht in h-Moll, wie im Druck bei Bach, sondern in cis-Moll. Das war gleichzeitig auch ein fulminanter Abschluss des gesamten Zyklus. Die cis-Moll Fuge ist eine der komplexesten von Bach überhaupt, mit zwei Fugenthemen, die kunstvoll verbunden werden.

Ist die verändere Abfolge legitim? Aber ja! Bach verstand sein „Wohltemperiertes Klavier“ als Studienwerk „zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen“ jeden Alters. Als Konzertwerk dachte er es eher nicht. Wenn es aber so grandios wie von Evgeni Koroliov gespielt wird, kommt das Geniale besonders gut zum Vorschein. Standing Ovations!