Hamburg. Ádam Fischer dirigiert die Wiener Symphoniker und Leonidas Kavakos. Doch nach wenigen Minuten stellt sich beim Hören Anstrengung ein.

Irgendwann im Lauf des ersten Satzes hat er sich im Kopf nach vorne gearbeitet, dieser Eindruck: Leute, das ist aber ganz schön laut hier! Die Halle kann auch leise, das kann sie sogar besonders gut, hat sich das noch nicht herumgesprochen? Die Wiener Symphoniker sind in der Elbphilharmonie, Ádam Fischer dirigiert Tschaikowskys Violinkonzert. Das ist romantisch besetzt, aber nicht übermäßig riesig, trotzdem stellt sich nach wenigen Minuten eine Art Anstrengung ein beim Hören.

Am Solisten liegt das nicht. Leonidas Kavakos wirkt äußerlich ungerührt, eher für sich, als dass er mit großen Gesten den Künstler heraushängen ließe. Show sollen andere machen. Dafür spielt er das schwärmerische Werk sehr innig, wagt pianissimi bis an die Grenze des Brüchigen – und kann sich stets darauf verlassen, dass ihn seine phänomenal tragfähige, sonore Stradivari „Willemotte“ nicht im Stich lassen wird. Schon gar nicht in den virtuos-kraftvollen Passagen.

Elbphilharmonie: Wiener Symphoniker kommen Kavakos nicht hinterher

Vielleicht liegt es ein ganz klein bisschen daran, dass das Tschaikowsky-Konzert stellenweise ein Schaulaufen ist: Seht her, wie man diesen und jenen musikalischen Gedanken mit Doppelgriff-Läufen, Staccati und Flageoletts spicken kann und was der geigerischen Scheußlichkeiten mehr sind. Kavakos meistert sie alle, ohne dass ihm auch nur ein Haar verrutscht, aber für die – mit Verlaub gesagt – Banalität dieser Passagen kann er nichts. Dann ist es nur ehrlich, sie nicht künstlich zu verrätseln.

Es ist überhaupt viel Ehrlichkeit im Spiel an diesem Abend. Zu viel womöglich. Denn die ist in der Kunst, die ja auch vom Zweifel lebt, vom Fühlen, von der Vieldeutigkeit, nicht unbedingt das oberste Ziel. Kann es sein, dass Fischer, ebenjenem Fischer, der in der Staatsoper mit Mozart-Opern immer wieder Wunderwerke an Lebendigkeit zaubert, farbig, historisch informiert, dass diesem Fischer zu Tschaikowsky nicht wirklich viel einfällt?

Das Orchester spielt routiniert, kommt dem Solisten aber nicht immer hinterher. Und um auf die Anstrengung zurückzukommen: Bis auf ein paar Holzbläserpassagen bewegt die Dynamik sich so gut wie nie im Piano-Bereich, geschweige denn in jenem spannungsvollen Pianissimo, mit dem Kavakos seine Hörer in den Solo-Passagen packt. Schade drum.

Elbphilharmonie-Publikum klatscht zwischen die Sätze

Überaus schade auch, dass das Publikum bei jeder Gelegenheit zwischen die Sätze klatscht. Obwohl Fischer höfliche Zeichen macht, das Werk bestehe aus mehreren Sätzen. Wäre es in der Reihe „Elbphilharmonie für Einsteiger“ nicht angebracht, einen Hinweis zu geben, dass Applaus den inneren Zusammenhang eines Werks zerreißt? Oder hat sich das Haus mit seinem Ruf abgefunden („Die Elbphilharmonie ist der Saal, in dem dazwischengeklatscht wird“)?

Man kann solche Hinweise auch ohne Herablassung anbringen, der Intendant hat es öfter bewiesen. Ein kleingedruckter Satz im Programmheft könnte reichen. Der erste Satz Tschaikowsky geht so schwungvoll zu Ende, dass ein wirklich spontaner Szenenapplaus nur zu verständlich wäre. Aber was da erklingt, ist ein müdes Bewegen der Hände.

Und so geht es in der Brahms Vierten weiter, die nach der Pause erklingt. Auch was die musikalische Darbietung betrifft. Fischer nimmt auch die Sinfonie mit einer Direktheit, der mangels Raffinesse etwas Hemdsärmeliges innewohnt. Sie kann das ab. Ihre Kraft, ihr Wechseln zwischen Hoffnung und Verzweiflung packen einen unmittelbar. Das Publikum ist spürbar begeistert, am Schluss applaudieren die Menschen stehend. Aber die Rezensentin wird den Verdacht nicht los, dass es Brahms war, der sie gefangennahm.