Hamburg. Die gehbehinderte Choreografin Claire Cunningham mit ihre Mitstreiterinnen performen „Thank You Very Much“.
„Tribute Artists“ sind ein eigenartiges Völkchen. Entertainer, die andere Künstler genau zu kopieren versuchen und dabei nicht nur die eigentliche Kunst nachbauen, sondern auch Bewegungen, Mimik, Stimme. Teilweise werden diese „Tribute Artists“ selbst zu Stars – zum Beispiel „Elvis Herselvis“, die Elvis Presleys Performance aus einer weiblichen Perspektive nachzeichnet, oder der dunkelhäutige „Black Elvis“.
Die schottische Choreografin Claire Cunningham hat sich für ihr Stück „Thank You Very Much“, das aktuell im Rahmen des „Nordwind“-Festivals auf Kampnagel zu sehen ist, mit solchen Elvis-Interpretationen auseinandergesetzt. Nicht nur mit dem Ergebnis, sondern auch mit dem Weg, der zu ihm führt, mit dem genauen Studium der Bühnenpersönlichkeit Elvis Presley, mit dem Hintergrund seiner Präsenz. „Wenn er die Bühne betritt, besitzt er die Bühne“, heißt es an einer Stelle, was einerseits ein Allgemeinplatz ist, andererseits aber die Aufmerksamkeit auf die Frage richtet, was ein Auftritt eigentlich bedeutet.
Wie man den richtigen Abgang hinlegt
Und wie man ihn wirkungsvoll inszeniert. „Thank You Very Much“ ist gar nicht in erster Linie ein Stück über Elvis oder darüber, Elvis zu kopieren, es ist ein Stück darüber, wie man Theater macht. Deutlich wird das in der Schlussszene, die sich minutenlang hinzieht. Weil Cunningham nämlich lange überlegt, wie man einen Abgang hinlegt, damit dieser den Namen Abgang verdient.
Erfolgversprechend wenn auch ziemlich teuer wäre: Abgang per Helikopter. Man könnte singend durchs Publikum abgehen, allein: In Pandemiezeiten ist das auch nicht optimal. Schwierig. Am Besten, man macht den Gedankengang selbst zum Abgang.
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Rock’n’Roll-Performances und schleppende Elektronik
Klingt nach theaterwissenschaftlichem Proseminar. Aber damit der Abend nicht in Theorieschwere versinkt, baut Cunningham immer wieder reizende Rock’n’Roll-Performances ein, neben den interessant als schleppende Elektronik arrangierten Elvis-Songs von „Love Me Tender“ bis „Can’t Help Falling In Love“ (Komposition und Sounddesign: Matthias Herrmann) bilden diese die unterhaltsame Basis von „Thank You Very Much“.
Das ist das eine, das andere ist der Umgang mit dem Körper. Nicht nur Cunningham selbst geht, tanzt und performt an Krücken, auch ihre Mitakteure haben Behinderungen: Tanja Erhart hat nur ein Bein, Vicky Malin trägt eine Beinschiene, Dan Daw spielt trotz einer Koordinationsschwäche. Diese Behinderungen sind durchaus Thema, aber sie stehen nicht im Zentrum des Stücks, sie sind nur der hier gewählte Zugriff auf die Elvis-Performance.
„Thank You Very Much“: Neue Variante inklusiven Theaters
In ihrer Konzentration auf theatertheoretische Überlegungen schafft Cunningham so eine ganz überraschende neue Variante inklusiven Theaters. Eines Theaters, das Behinderung weder ignoriert noch als zu überwindendes Problem versteht, sondern das die Behinderung als Werkzeug nutzt, mit dem das eigentliche Thema angegangen werden kann.
Das allerschönste an diesem Abend: Man kann ihn einerseits als theoretische Überlegung sehen. Man kann ihn aber auch mit den „Tribute Artists“ als überaus unterhaltsame Hommage an einen großen Bühnenkünstler verstehen: „You Are Always On My Mind.“