Hamburg. In den Produktionen „Fux“ und „A Singthing“ wird sehr konkret das Thema Inklusion behandelt. Über das Konzept und die Entstehung.

Zwei Produktionen auf Kampnagel beschäftigen sich mit inklusiven Themen. Choreographin Ursina Tossi kreiert mit „Fux“, das beim Nordwind Festival läuft, ein Stück für ein sehbeeinträchtigtes Publikum. Regisseur Benjamin van Bebber entwickelt „A Singthing“, eine Oper für Gehörlose.

Hamburger Abendblatt: Frau Tossi, wie kreiert man Tanz für nicht Sehende?

Ursina Tossi: Man arbeitet mit nicht Sehenden zusammen. Tanz spricht ja verschiedene Sinne an. Ich arbeite nah an der visuellen Kunst, aber das bedeutet nicht, dass man andere Ebenen nicht betonen und intensivieren kann. Es ist wichtig, die Menschen, für die es gedacht ist, mit einzubeziehen. Wir arbeiten zum Beispiel für „Fux“ mit einer Klasse aus der Borgweg-Schule zusammen. Kinder mit unterschiedlichen Sehbeeinträchtigungen unterstützen uns. „Fux“ ist ja mein erstes Kinderstück und das ist fast die größere Herausforderung.

Herr van Bebber, wie entwickelt man eine Oper für Gehörlose?

Benjamin van Bebber: Indem man mit gehörlosen Künstlerinnen zusammenarbeitet. Auch Oper wird nicht nur über die Ohren wahrgenommen. Musik kommt physisch über Schwingungen in den Körper, es gibt den sichtbaren Ausdruck der Musiker, es gibt den sozialen Aspekt im Musizieren. Mir geht es darum, den Fokus zu verändern.

Worin besteht Ihr Ansporn. Wie ist Ihr Zugang entstanden?

Tossi: In meinen Arbeiten gab es schon immer eine Textebene, eine Art Spoken Word-Performance, die etwas Beschreibendes hat, das war die offene Tür. Erstmals habe ich 2019 Audiodeskription für die Choreografin Erna Ómarsdóttir und ihre Produktion „Romeo und Julia“ entwickelt. Es ist ja im Grundgesetz verankert, dass alle Menschen ein Recht auf Kultur haben. Manche Sehende fühlen sich allerdings durch Audiodeskription eingeschränkt. Es scheint schwer zu sein, Zugänge als etwas Positives wahrzunehmen.

van Bebber: Ich habe im Internet die Perkussionistin Evelyn Glennie entdeckt und dann angefangen mich mit Gehörlosenkultur zu beschäftigen. So habe ich einige interessante Künstlerinnen kennengelernt. Unter anderem die Schauspielerin Athina Lange. Mit ihr, der Percussionistin Sabrina Ma und dem Composer-Performer Leo Hofmann haben wir nun einen Arienabend kreiert.

Frau Tossi, warum machen Sie den Barriereabbau zum Thema ihrer Produktion?

Tossi: „Fux“ trägt ja den Untertitel „ein Stück für junges Publikum mit und ohne Sehbeeinträchtigung“, Barrierefreiheit ist also ausdrücklich Teil der Kunst Inhaltlich setzen wir uns mit dem Aussterben von Tieren und der Klimakrise auseinander. Es geht darum, wie man Kindern Impulse geben kann, mit der Welt umzugehen. Bei uns ist der Fuchs ausgestorben und kommt als Geist zurück.

Herr van Bebber, wie muss man sich multisensorisches Musizieren in „A Singthing“ vorstellen?

van Bebber: Es ist ein Abend mit drei Arien, die wir gar nicht im konventionellen Sinne aufführen können – weil keine Sängerin im Team ist. Wir haben die Arien also übersetzt in musikalische, choreografische und szenische Vorgänge. Auch wird die Tribüne über spezielle Verstärker in Schwingung versetzt und reagiert auf Stimmen, Paukenschläge oder Bewegungen. Letztlich ist es die Suche nach einer ebenso persönlichen wie gemeinsamen, nach einer sinnlichen und emotionalen Sprache. Wie können wir kommunizieren? Hilft Musik dabei?

Benjamin van Bebber/Leo Hofmann: „A Singthing“ 25. bis 28.11., jew. 19.30; Ursina Tossi: „Fux“ 2.12. 10.00, 3.12., 10.00 u. 16.00, 4.12. 11.00 u. 16.00, Nordwind Festival 1. bis 12.12., Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter www.kampnagel.de