Hamburg. „Coolhaze“ am Deutschen Schauspielhaus funktioniert in mehrfacher Hinsicht vorzüglich, doch irgendetwas etwas fehlt.

Das kann man gewiss machen. Man kann Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ als Verfilmung aus dem Brandenburg des 16. Jahrhunderts ins New York der 1980er verlegen. Man braucht dafür nur a) eine Handlung, die den Epochenwechsel sinnvoll erklärt, b) Spannung, Action und einen Soundtrack, der darüber hinweghilft, wenn die Spannung nicht so will, wie sie sollte, c) Product Placement, das das Ganze finanziert und d) einen Star in der Hauptrolle, der genug Publikum ins Kino zieht.

Der Film „Coolhaze“ hat das alles. Der Pferdehändler Kohlhaas wird hier zum Motorradhändler ­Coolhaze, dessen Bikes von korrupten Polizisten konfisziert werden, das funktioniert schon. Die Musik stammt zum Großteil von Sebastian Hoffmann und besteht aus stilechten Action-Kompositionen, mit durchdrehenden Flöten, wilder Percussion und quäkenden Gitarren. Sponsor ist ein Kekshersteller aus Hannover, es gibt Cooleres, aber sei’s drum. Und die Titelrolle spielt Charly Hübner – mit dem macht man nie was falsch.

Theaterkritik: „Coolhaze“ ist ein Film im Theater

„Coolhaze“, die jüngste Arbeit der Hamburger Humor-Altmeister Studio Braun am Schauspielhaus, ist also: Film im Theater, Bühne auf der Bühne. Kinoregisseur Richthofen (Samuel Weiss mit deutlichen Anklängen an Florian Henckel von Donnersmarck) schikaniert seine Schauspieler, und in der Filmerzählung wehrt sich Coolhaze gegen die Schikanen der Obrigkeit, und am Ende wird der Regisseur von den Unterdrückten gerichtet: Eine hübsche Parallelführung zweier Handlungsebenen. Weil sie so elegant gelöst ist, erkennt man, dass man auf einer falschen Fährte ist, wenn man den Humor von Studio Braun mit dem Charme des Dilettantischen erklärt.

Ute Hannig, Coolhaze Charly Hübner (M.) und Heinz Strunk in New Yorker 1980er-Jahre-Kulisse.
Ute Hannig, Coolhaze Charly Hübner (M.) und Heinz Strunk in New Yorker 1980er-Jahre-Kulisse. © Marcel Urlaub

Außerdem liegt im ausgespielten Dilettantismus auf einer anderen Ebene eine Qualität des Abends. Weil nämlich das Studio-Braun-Trio wie immer auch mitspielt: Heinz Strunk als Coolhaze’ Mutter, Rocko Schamoni als Lehrling Shaggy, Jacques Palminger als Monsterraupe, die den Film noch irgendwie in Richtung Horror verschieben will. Natürlich können die nicht mit einem A-Klasse-Ensemble mithalten – neben Hübner und Weiss spielen Ute Hannig (Gattin Ladybird), Josefine Israel (Tochter Dotty) sowie Jonas Hien und Holger Stockhaus (die korrupte Staatsmacht). Klar, gegen die spielen die drei Nicht-Schauspieler ins Leere (und die ebenfalls aus dem Studio-Braun-Kosmos geholten Rica Blunck und Jens Rachut genauso). Bloß: Das ist kein Problem des Abends, das formuliert im Gegenteil eine Fallhöhe, mit der sich spielen lässt.

Schon 2018 gab es „Michael Kohlhaas“ - am Thalia Theater

„Coolhaze“ funktioniert eigentlich ganz vorzüglich, und die Ausstattung tut ihren Teil dazu. Stéphane Laimé hat eine Bühne gebaut, die einerseits New Yorker Straßenschluchten detailgenau abbildet und diese Straßenschluchten andererseits immer wieder als das kenntlich macht, was sie im Filmset eben tatsächlich sind: Kulissen, die sich beliebig von links nach recht schieben lassen. Der Live-Film von Philip Jestädt und Sabine Jankowski ist absolutes State Of The Art. Und die Kostüme von Dorie Bahlburg … Also: Koteletten, Oberlippenbart und Brusthaartoupet, jemand wie Hübner kann so was tragen. Aber als sich der Oberkörper als Bodysuit entpuppt, entdeckt man unter der Hülle etwas, das sich deutlich weniger hübsch anschauen lässt. Entsprechend: Super-Ausstattung!

Weshalb ist man dann doch nicht so ganz zufrieden mit dem Abend? Weil es schon mal einen „Michael Kohlhaas“ in Hamburg gab, 2018 am Thalia Theater, inszeniert von Antú Romero Nunes. Da mag Studio Braun den Stoff noch so stilbewusst, kreativ und gekonnt bearbeiten – Nunes entdeckte bei aller Begeisterung fürs Unterhaltungstheater in der Vorlage einen Aspekt, der hier vollkommen unter den Tisch fällt: Kohlhaas als der wütende Bürger, dem Unrecht widerfahren ist, wurde am Thalia zum Wutbürger, der sich ungerecht behandelt fühlt, Pegida spielte ebenso mit hinein wie Querdenkertum. Eigentlich hätte man solch eine politische Hellsichtigkeit auch von einer einem politischen Umfeld entsprungenen Gruppe wie Studio Braun erwartet.

Theaterkritik: Inszenierung fehlt das politische Statement

Hier aber: nichts dergleichen. Einzig als Dotty am Ende den Rachefeldzug ihres Vaters (der längst wie Oma, Mutter und Lehrling gemeuchelt wurde) vollendet, wird sie von einer sachte an einen Schwarzen Block erinnernden Statistengruppe unterstützt. Doch reicht das schon als politisches Statement? Stattdessen flüchtet sich die Inszenierung in Schauspielerwitze: Als Israels Dotti-Darstellerin in einer Drehpause mit Hiens Cop-Darsteller flirtet, fragt sie ihn, was der denn sonst so spiele. Er: „Ich spiele Theater.“ Sie: „Ach. Wo denn?“ Er: „Auf einem Kreuzfahrtschiff.“ In der Schauspielhaus-Kantine lachen sie wahrscheinlich heute noch über den Dialog.

Dennoch: „Coolhaze“ ist ein großer Spaß, ist handwerklich perfekt, reißt einen mit. „Coolhaze“ hat eine originelle Grundidee, klar, „Michael Kohlhaas“ als Film im New York der Achtziger neu erzählen, das kann man machen. Aber was hätte man aus dieser rundum gelungenen Idee sonst noch machen können!

„Coolhaze“ wieder 9.12., 20 Uhr, 31.12., 16 und 20 Uhr, 7.1., 20 Uhr, 9.1., 18 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de