Hamburg. Mit „Josef und Maria“ gastieren die Hamburger Kammerspiele in echter Kaufhaus-Kulisse. Wie es zu dieser erstaunlichen Inszenierung kam.
Peter Turrinis in der Weihnachtszeit angesiedeltes Stück „Josef und Maria“ spielt in der Warenwelt eines Kaufhauses. Warum es also nicht einmal tatsächlich in einem Einkaufszentrum aufführen?
Angebahnt wurde die Idee zwischen den Verantwortlichen von Europa Passage und Hamburger Kammerspielen anlässlich des Abendblatt-Neujahrsempfanges 2019. Und so kam es, dass nun die Inszenierung von Sewan Latchinian am ersten von vier Adventswochenenden in der Europa Passage in der Innenstadt gastierte.
Maria fährt Aufzug in der Europa Passage
Per Aufzug schwebt April Hailer als Putzfrau Maria im Erdgeschoss ein, wo sich die Zuschauer auf Stühlen vor einem Crepê-Stand und auf der Treppe niedergelassen haben. Maria tauscht Pelzmantel gegen Kittel und beseitigt am Heiligabend die Reste der vorweihnachtlichen Konsumschlacht.
Die Familie ihres Sohnes legt eh keinen Wert auf ihren Besuch. Ihre Verzweiflung und die nagende Einsamkeit ertränkt Maria in einer zügig gelehrten Flasche Cognac: „Warum sind die Menschen so wie sie sind?“, stöhnt sie – und wischt und feudelt den Passagenboden. Bald erregt sie die Aufmerksamkeit von Wachmann Josef (Gerhard Garbers).
Erst granteln sich die beiden an, dann offenbaren sie immer mehr Details aus ihrer bewegten Vita. Maria hat einst im Varieté getanzt. Josef hatte Schauspielambitionen, doch dann kam dem Freidenker der Kampf für die kommunistische Weltrevolution dazwischen.
Die Inszenierung funktioniert erstaunlich gut
Häufig reden sie in Selbstgesprächen aneinander vorbei. Keiner von beiden will die eigene Bedürftigkeit offenbaren. Sogar als gebeutelte Maria versprüht April Hailer eine beneidenswerte juvenile Energie und Vitalität, wenn sie barfuß zu akkuraten Ballett-Positionen ausholt und von der Zeit erzählt, als sie jung und begehrt war. Garbers lässt als Josef wiederum noch immer Funken seines Feuers für eine gerechtere Welt sprühen – aller Desillusion zum Trotz.
Die Inszenierung über dieses ungleiche Paar, das am Ende sogar auf einer Matratze auf dem Passagenboden landet, funktioniert – ohne Bühnenbild und nach nur vier Tagen Probe – erstaunlich gut.
Für das Publikum bleibt die Kulisse ein wenig unwirtlich, weil es ohne Mantel wirklich eisig wird und mancher Passagen-Besucher vor der Absperrung lärmt. Das trägt aber auch zum lebendigen Charakter jenseits der klassischen Theaterbühne bei. Vor allem dank dieser beiden herausragenden Darsteller entfaltet die Inszenierung eine ganz besondere Kraft.
„Josef und Maria“ 5.12., 16 u. 19 Uhr, 12.12., 16 u. 19 Uhr, 19.12., 16 u. 19 Uhr, Europa Passage, Karten unter T. 413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de; 1. bis 10.12., Harburger Theater, T. 33 39 50 60; www.harburger-theater.de