Hamburg. Die Verwechslungskomödie ist zum Amüsement des Publikums etwas aus der Zeit gefallen und schnurrt mit Charme dahin.
„As time goes by...“ Der alte Jazzstandard säuselt aus den Boxen und kommentiert, was man an diesem Abend sonst vielleicht gar nicht bemerkt hätte: Zeit vergeht. Also, draußen zumindest. Auf der Bühne des Ernst Deutsch Theaters scheint sie zur Premiere des Schwanks „Charleys Tante“ bemerkenswert still zu stehen.
Oder vielmehr: sogar rückwärts zu laufen. In jene Zeiten, als man als Kolonialmacht noch etwas galt und sich auf Ceylon – ganz ohne dies zu hinterfragen – einen „Boy“ hielt, als Frauen völlig selbstverständlich vor übergriffigen Männern flüchten mussten und im besten Fall auf Heirat hoffen konnten. Als es grundsätzlich als Pointe galt, wenn ein Mann Frauenkleider trug.
"Charleys Tante": Rührend altmodisches Bühnenbild
Davon zehrten schon die Verfilmungen des Bühnenstücks von Brandon Thomas mit Heinz Rühmann (1955) und Peter Alexander (1963). Um das britische Empire oder die Fans dieser Filme muss man sich in der Inszenierung von Adelheid Müther jedenfalls keine Sorgen machen. Schon Kathrin Keglers Bühne ist rührend altmodisch. „Och, schön...“, seufzt eine Zuschauerin, als das Herrenzimmer zum Vorschein kommt, samt Kamin, Holzvertäfelung, ausgestopftem Geflügel und Blick auf Westminster Abbey.
Kostümbildnerin Marie-Theres Cramer hat weder an Karos noch an Floralmustern gespart. Und die Verwechslungskomödie, in der die beiden Upper-Class-Studenten Jack (Daniel Schütter) und Charley (Rune Jürgensen) zwei Mädchen flachlegen möchten und dazu auf die Hilfe einer (vermeintlichen) Anstandsdame bauen, schnurrt dahin.
"Charleys Tante": Hindernisse und Missverständnisse
Mit allen dafür nötigen Hindernissen, Missverständnissen und Anzüglichkeiten. Charleys reiche Tante aus Brasilien kommt nicht rechtzeitig zur Party, also springt der entsprechend aufgebretzelte Studienfreund Fancourt Baker als Donna Lucia ein. Und Anton Pleva gelingt es, dieser Crossdressing-Rolle neben dem betonten Witz auch Charme und Wärme zu geben. Arg überkandidelt sind eher die anderen – bis auf die spät dann doch erscheinende echte Lucia (cool: Maria Hartmann) und den standesbewusst pichelnden Butler, den Peter Albers köstlich spielt, ohne zu übertrieben auf die Tube zu drücken: „Sind Sie betrunken?“ – „Ganz wie Sie wünschen!“
- Wie Bariton Matthias Goerne seine Gage beim Roulette setzte
- Volker Lechtenbrink: Hamburg trauert um Theater-Ikone
- Ein „ganz, ganz goldiger“ Froschkönig mit feiner Ironie
Ein bisschen mehr Zug und etwas weniger überdeutlich großes Spiel (bei Volker Weidlich als versehrtem Tropenhelm-Briten passt es) hätte der nostalgischen Produktion womöglich ganz gut getan. Aber der Abend hat auch so seine komischen Momente – und erntet viel Applaus.
„Charleys Tante“ läuft am Ernst Deutsch Theater bis zum 9.1.22, Karten zu 22-44 Euro (inkl. Garderobe und HVV) unter T. 22 70 14 20 oder www.ernst-deutsch-theater.de