Hamburg. Der Sänger tritt in gleich drei Konzerten in der Elbphilharmonie auf. Ein Gespräch über den Mut zum Risiko, Karriere und Kochen.
Eine dieser Stimmen, die man schon nach sehr wenigen Tönen erkennt, gehören dem Bariton Matthias Goerne. In der kleinen Form des Liedgesangs fühlt er sich ebenso zuhause wie bei den großen Opern-Partien vom Kaliber Wotan oder Wozzeck. An diesem Wochenende ist er in gleich drei Konzerten in der Elbphilharmonie zu hören: Mit dem NDR-Orchester, dem Ensemble Resonanz und dem Pianisten Markus Hinterhäuser präsentiert er Musik von Hanns Eisler. Ein Gespräch über Roulette, Karriere und Kochen unter freiem Himmel.
War das Leben bislang gut zu Ihnen, so als Musiker?
Matthias Goerne Oh ja, durchweg, würde ich sagen. Da spielen viele Dinge hinein, für die man nichts kann, aber insgesamt hatte ich wahnsinnig viel Glück.
Wissen Sie noch, was Sie mit ihrer ersten Profi-Gage angestellt haben?
Ich bin – das war in Vichy, irgendetwas mit Bach - mit einer Gage, die natürlich nicht besonders groß war, in ein Spielcasino gegangen und habe die am Roulette-Tisch vervierfacht, immer auf volles Risiko gesetzt. Bin mit dem Gewinn nach Hause und habe das seitdem nie wieder gemacht.
Eisler. Hanns Eisler. Sie geben hier drei sehr unterschiedliche Konzerte, Großorchestrales, Kammermusik und Lieder. Mal ganz großes Klischee: Warum muss es ein Thüringer sein, der sich für den in Leipzig geborenen Eisler so sehr einsetzt, seit Jahren schon? Müssten wir Westler inzwischen nicht auch gemerkt haben, dass Eisler ein interessanter, lohnender Komponist ist?
Das geht ja nicht nur Eisler so. Ich war noch Student, als ich herausfand, dass er sehr viele Lieder geschrieben hatte. Er war in der DDR zwar jedem ein Begriff, wurde aber überhaupt nicht aufgeführt. Diese Musik hat eine bestimmte Haltung…… und Eisler hat doppeltes Pech: Er ist unbekannt und unterschätzt.Wir hätten auch nur das Hollywood-Liederbuch nehmen können. Die Ergänzung mit Schubert und Schumann ist der Versuch zu zeigen, wie nah die sich sind, trotz der großen Differenz bei den Lebensdaten. Die humanistische Haltung und der Umgang mit gutem Text vereint sie alle.
Harter Schnitt: Es gab eine Phase in den bisherigen Corona-Jahren, in der Sie sehr öffentlich sehr sauer waren über die Behandlung von Kultur. Wie geht es Ihnen aktuell jetzt?
Ich bin jetzt viel resignativer, ich halte mittlerweile alles für möglich. Mich macht das absolut sprachlos.
Sie waren sowohl bei Dietrich Fischer-Dieskau als auch bei Elisabeth Schwarzkopf in der Lehre, zwei Riesen-Gestalten, die beide nicht für kleine Egos bekannt waren. Wie haben Sie das überlebt?
Das war gar nicht so schlimm. Sie waren grundverschieden. Fischer-Dieskau war als Person mit größerer Distanz ausgestattet, der Unterricht war von Sachlichkeit geprägt. Bei Schwarzkopf war es genau das Gegenteil: sehr emotionaler, sehr persönlicher Unterricht. Sie hat erwartet, es ganz genau so zu machen, wie sie es erklärt hat. Beim ersten Mal dort, mit etwas aus Mahlers Wunderhorn-Liedern, unterbrach sie mich nach anderthalb Seiten. Sie sang vor, was sie wollte und ich argumentierte dagegen. Da hat sie einen Finger gehoben, wie man es bei einem Kind macht: Hören Sie mir zu. Sie sind hier, damit Sie etwas von mir lernen. Ich bin an Ihrer Meinung überhaupt nicht interessiert. Es ist mir auch vollkommen egal, was Sie daraus machen. Aber solange Sie hier sind, machen Sie genau das, was ich für richtig halte. Dann lernen Sie was. Im Konzert können Sie immer noch entscheiden, was Sie machen wollen. Das war sehr deutlich, ich bin rot geworden wie eine Tomate und hab mich total darauf eingelassen. Das war wahrscheinlich eine sehr wichtige Lektion. Unterrichten funktioniert genau so.
Sie sollen bei der Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Leipzig mit einem „Na ja“ so gerade noch durchgewunken worden sein…
… Ich bin erstmal abgelehnt worden…
… noch schöner... Sind Sie nicht nachtragend?
Überhaupt nicht! Ein richtiges Talent schafft es, sich durchzubeißen und seinen Weg zu finden. Nur Leidenschaft und Sehnsucht reicht sowieso nicht aus, um durch den Beruf zu kommen. Man braucht wirklich Begabung.
Also haben Sie das erste Durchfallen einfach nicht besonders ernst genommen?
Ich sang da vor und dann hieß es: Wir glauben, wir tun Ihnen keinen Gefallen, wenn wir Sie das studieren lassen. Die Stimme ist nicht interessant genug, zu zart, zu klein. Da habe ich gesagt: Aber ich will trotzdem Gesang studieren, ich bewerbe mich wieder. Ein halbes Jahr später war ich wieder da und habe ziemlich insistiert. Ich fühle das im Inneren. Damals gab es einen neuen Studiengang, ein Schmalspurstudium. Da habe ich zugesagt, damit war ich schon mal drin.
Was finden Sie ganz schlicht und direkt toller: Das diffizile Feilen an einem Lied, als wollte man ein klitzekleines Buddelschiff in die Flasche bekommen – oder ein Wotan mit einem dick besetzten Wagner-Orchester vor einem im Graben?
Das kann ich nicht sagen. Aber alles, was ich zusage, macht mir wirklich Spaß, aus unterschiedlichen Gründen. Die Abwechslung ist wechselseitig sehr befruchtend.
Wann ist eine Stimme eine schöne Stimme, wann ist sie ehrlich?
Alles sehr subjektiv. Wann gefällt eine Stimme? Den meisten, wenn sie vor allem sehr laut singen kann, weil das für Menschen, die selbst nicht singen, so unvorstellbar ist.
Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Klavierbegleitung aus? Sie haben mit Brendel gearbeitet, mit Eschenbach, mit Andsnes, mit Yuja Wang oder Trifonov. Ist Liebe auf den ersten Blick zielführend oder ist anfängliche Reibung besser?
Die Reibung sollte nicht zu groß sein. Mir ist sehr wichtig, dass jemand das Klavier in Gänze bedienen kann, nach meinem Anspruch für meine Stimme. Das ist bei Solo-Pianisten ganz eindeutig auf einem anderen Level, aufgrund der physischen Möglichkeiten, der Ausbildung, der Technik.
Der Klavierbegleiter Helmut Deutsch hat einmal über seinen Job gesagt: „Man muss unsichere Sänger aufbauen und hysterische beruhigen.“
Den Beruf würde ich so nicht sehen wollen. Als Pianist würde ich es nicht als meine Aufgabe sehen, Sänger zu beruhigen.
Eine praktische Frage, denn Sie sind ja vom Stimm-Fach: In Opernaufführungen frage ich mich oft: Was, in welcher Sprache singen die da eigentlich? Ist das anatomisches Schicksal, schlechte Ausbildung?
Die Orchester sind zu laut, generell, weltweit. Zu viel Klang. Ab einem gewissen Punkt von Lautstärke ist es ausgeschlossen. Das macht mich total krank.
Was ist das Beste, das Ihnen ein Opernregisseur bei einer Probe sagen kann?
Die Art des Austauschs ist ganz wichtig; dass das von grundsätzlichem Vertrauten geprägt ist.
Und das Schlimmste? „Dahinten ist ein Kreuz auf dem Boden, stell Dich mal da hin“?
Wenn man bei einer Wiederaufnahme irgendwas machen muss, irgendwas trägt. Wenn mir das alles gar keinen Sinn macht, fange ich an meine Zweifel zu bekommen. Wenn ich einen Riesen-Vortrag gehalten bekommen muss, um zu begreifen, warum ich eine Tür über die Bühne trage.
Kommt auf das Stück an.
Ein „Tannhäuser“ war das. Ich habe nur gefragt: Behalte ich die Tür bis zum Schluss? - Nein, die wird dort abgelegt. Wollen Sie gar nicht wissen, warum Sie die Tür tragen? – Nein, ich komme allein nicht drauf, das wird sich nicht übertragen.
Welche Info ist beim ersten Mal in einem neuen Opernhaus wichtiger: Der Weg zur Bühne oder der zur Kantine?
Zur Bühne. Ich bin fast nie in der Kantine.
Würden Sie im nächsten Leben lieber Tenor oder wieder Bariton sein?
Die Frage ist: Würden Sie wieder singen wollen? Da bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht würde ich etwas anderes Interessantes machen. Ich glaube aber wirklich so gar nicht dran, also gibt es auch keinen Plan B.
Wie ist es bei Ihnen mit dem Lernen von Partien? Bekommen Sie die schnell in den Kopf und sie sind dann aber genauso schnell wieder weg?
Es gibt Stücke, die ich mehrmals singe, aber dann, nach einer Pause von drei Jahren, habe ich bei der ersten Probe das Gefühl, eigentlich so gut wie nichts zu kennen. Dass ich mich noch nicht mal an die Melodien erinnere… Mit Christoph Eschenbach habe ich einmal Hindemiths „Mathis der Maler“ gemacht, ich würde das noch nicht mal mehr chronologisch zusammenbekommen. Ich kann aber relativ schnell lernen, wenn ich ganz konzentriert bin und der Druck groß genug ist.
Wenn ich nicht wüsste, wie Ihre Stimme klingt – wie würden Sie sie mir beschreiben?
Eine gewisse Unverwechselbarkeit im Timbre ist durchaus da. Weich im Ansatz. Mit einer dunkleren Tönung als im Vergleich zu vielen anderen Baritönen. Die Möglichkeit, innerhalb einer sehr schwierigen Passage von hohen bis sehr tiefen Registern ziemlich schlackenlos modulieren zu können.
Gibt es bei Ihnen ein Geheimrezept gegen Stimmprobleme? Kräuter bei Vollmond pflücken oder einfach die Klappe halten?
Wenn man etwas hat, mal eben nicht singen, das hilft schon kolossal. Und generell eine gewisse Routine entwickeln im Leben.
Anja Silja sagte: „Ich habe mich immer dem gefügt, was ein wirklich großer Dirigent zu sagen hatte.“ Darin steckt auch, dass es bei nicht wirklich großen nicht so war. Wie gehen Sie mit Anweisungen um?
Ich bin nie in einer Situation gewesen, dass sich die Fronten wahnsinnig verhärtet hätten. Man findet sich mittlerweile. Dass das Dirigat auch ein Diktat ist, ist mir so gut wie nie begegnet.
Wonach suchen Sie aus, was Sie tun oder lassen?
Nach den Stücken. Es gibt viele, die mich nicht interessieren, als Zuhörer noch viel weniger als als Agierender auf der Bühne. Das Singen als solches ist nicht der interessanteste Teil. Ich bin nicht der Stimmfetischist, das exemplarische Darstellen des Könnens in technischer Hinsicht ist für mich vollkommen uninteressant und ganz hohl. Ein großer Teil der Opernmusik hat das ganz stark verinnerlicht.
Was ist denn dann das Tollste?
Die Fusion zwischen ernstzunehmendem Text, den jeder begreift, egal, ob er 300 oder 400 Jahre alt ist - und einer Synchronisierung, die Stücke einmalig und zeitlos macht. Das ist der interessante Punkt, den ich auch auf der Bühne spüre.
Haben Sie im Laufe Ihrer Sänger-Jahre auch schauspielerischen Ehrgeiz entwickelt?
Das ist ganz wichtig. Ich fühle mich unwohl, wenn ich einigermaßen gut singe und dann aber trotzdem wie ein Stock stehe und mich fehl am Platz fühle. Bei großen Rollen ist es unvorstellbar, nicht engagiert körperlich darstellerisch zu sein. Ich glaube aber nicht, dass man das Schauspielen im Film und Theater ein zu eins für Sänger übernehmen kann. Wir haben ja den Rhythmus, das Zeitmaß der Musik.
Die Kollegin Cecilia Bartoli ist inzwischen auch Intendantin, bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Können Sie sich diesen Spurwechsel ins Organisatorische hinter der Bühne auch vorstellen?
Absolut. Das würde ich sehr gern machen. Ich bin jetzt 54 und kann mir nicht vorstellen, bis an mein Lebensende zu singen. Böte sich die Möglichkeit an, die Intendanz eines Festivals, eines Theaters oder einer Konzerthalle zu übernehmen, würde ich den Kalender garantiert relativ schnell so leerräumen, dass ein bestimmtes Repertoire noch möglich ist und gleichzeitig der größere Teil der anderen Zeit auf der anderen Seite, für eine Kulturinstitution stattfinden könnte.
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Dann müssten Sie ständig Kolleginnen und Kollegen erklären, was sie tun und lassen sollen.
Das würde ich, glaube ich, hinbekommen.
Was außer Kochen und Kofferpacken macht der Sänger Matthias Goerne, wenn er nicht singt? Haben Sie noch richtige Hobbies oder golfen Sie schon?
Ich golfe nicht. Im letzten Jahr habe ich viel in den Tag hineingelebt und das sehr genossen. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich nicht lieber gesungen hätte. Meine Eltern sind zu mir nach Mecklenburg gezogen, ich bin seit dem 15. Lebensjahr von ihnen getrennt gewesen. Ich mache ziemlich normale Dinge: mit der Familie zusammen und viel draußen zu sein. Draußen kochen.
Wie: draußen kochen?
Pizza machen, auf dem eigenen Grundstück in der Außenküche. Freunde einladen.
Was ist für Sie unschöner: Der Schritt auf die Bühne oder der Schritt von der Bühne?
Beides nicht, in gleichem Maße. Es ist ein sehr erfülltes Gefühl, wenn ein Konzert gutging. Je mehr Kontrolle nötig ist, um Dinge zusammenzuhalten, desto unfreier fühlt sich das im nachhinein an. Der Schritt auf die Bühne ist immer ein angenehmer. Mich hat das nie gestört, mir steht ein Konzert nie bevor.
Goerne/Eisler-Konzerte in der Elbphilharmonie: 26.11., 20 Uhr: Eisler „Deutsche Sinfonie“ NDR Elbphilharmonie Orchester, Carlos Miguel Prieto. Gr. Saal. 27.11., 20 Uhr: Kammermusik und Lieder. Ensemble Resonanz, Tamara Stefanovich (Klavier). Kl. Saal. 28.11., 11 Uhr: „Hollywooder Liederbuch“ (Ausschnitte), Lieder von Schubert und Schumann. Markus Hinterhäuser (Klavier). Gr. Saal. Aufnahme: „Im Abendrot”. Lieder von Wagner, Pfitzner, Strauss. Seong-Jin Cho (Klavier) (DG, CD ca. 15 Euro)