Hamburg. Die norwegische Star-Sopranistin Lise Davidsen debütierte an der Hamburgischen Staatsoper mit einem Programm aus Arien und Liedern.
Was heißt „schön“, was bedeutet „perfekt“? Ein makelloser Model-Körper, ein perfekt geschminktes Gesicht können auch schnell langweilig werden. Lebensläufe, die sich ohne Höhen und Tiefen entwickeln, produzieren meist ziemlich farblose Individuen. Und was ist eine schöne Stimme? Hatte die „Primadonna assoluta“ Maria Callas eine „schöne Stimme“? Sicher nicht. Aber Ecken und Kanten können gerade für den besonderen Reiz sorgen.
Entscheidend ist etwas anderes: Vermag eine Sängerin, ein Sänger glaubhaft die Emotionen, die in der Musik stecken, zu vermitteln und kleine Makel in Schönheit zu verwandeln? Und da sind wir bei Lise Davidsen. Die norwegische Sopranistin kann das und ihr Debüt an den Hamburgischen Staatsoper bewies es. Standing ovations waren ihr Lohn. Intendant Georges Delnon riss es zu einem riesigen Blumenstrauß und einem angedeuteten Kniefall hin.
Lise Davidsen hat das gewisse Etwas
Sie ist eine imposante Erscheinung auf der Bühne und überragt ihren fantastischen, facettenreich-sensiblen Klavierpartner Bryan Wagorn. Ihre Stimme hat so viel Volumen, dass man erschauern kann. Aber die Sopranistin hat Geschmack und erschlägt ihr Publikum nicht mit ihrer Kraft. Es gibt sicher Stimmen, die wärmer und runder klingen, weniger hart in der Höhe. Aber denen fehlt dann vielleicht das gewisse Etwas, das Lise Davidsen hat. Nicht umsonst reißen sich die internationalen Opernhäuser – New York, London, Wien oder Bayreuth – um die Sängerin, seit sie 2015 einige renommierte Wettbewerbe gewann.
Schon nach wenigen Sekunden der Leonora-Arie „Pace, pace“ aus Verdis „La forza del destino“ war zu Beginn des Abends klar, hier singt eine, die in ihrer jeweiligen Rolle lebt, die Gefühlen mit unbedingter Ehrlichkeit nachspürt und, das Wichtigste, die dies vielschichtig und berührend vermitteln kann. Dabei war nichts oberflächlich. Lise Davidsen spielt nie sich selbst, wie schlechte „Tatort“-Darsteller.
Staatsoper Hamburg: Atemberaubende Techniken
Sie kann Inhalte auf eine universelle Ebene heben und dem Hörer Raum für eigene Empfindungen lassen. Deshalb hat sie auf der Bühne so viel zu sagen. Welche Intensität hatte etwa Desdemonas verinnerlichtes „Ave maria“ aus Verdis „Otello“. Unglaublich. Dazu die atemberaubende Technik, die Stimme bruchlos von der Tiefe in die Höhe zu schwingen und dabei im Pianissimo zu bleiben!
Ähnlich magisch klang Tschaikowskis Arioso der Lisa aus „Pique Dame“ im zweiten Teil. Und wenn nach zarten geheimnisvollen Tönen der mächtige Sopran dann bei Puccini – vor der Pause als Manon („Solo, perduta, abbandonata“) und nach der Pause als Tosca („Vissi d’arte“) – sonor und kraftvoll den Raum bis in den letzten Winkel durchflutete, dann schien da schon Magie im Spiel zu sein. Wie wohltuend aber war bei diesen Forte-Ausbrüchen Lise Davidsens souveräne Kontrolle ihres Vibratos, und wie farbig konnte sie besonders ihre Mittellage leuchten lassen.
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"The Art of Lise Davidsen" in der Hamburgischen Staatsoper
Der Abend in der Staatsoper zeigte auch die Repertoire-Vielfalt der Sängerin. Im Programm waren ebenfalls eine Arie aus Brittens „Peter Grimes“ und Lieder von Grieg und Strauss. Besonders bei den deutschen Liedern Griegs beeindruckte Lise Davidsen mit einer subtilen Tongestaltung, dynamischen Abstufungen bis ins extreme Pianissimo. Niemals ging dabei die Spannung verloren.
Zweimal griff Lise Davidsen zum Mikrofon und erzählte ein wenig über ihren Werdegang, ihre Liebe zur deutschen Musik und die Gestaltung ihres Hamburger Recitals. Die Staatsoper nannte es „The Art of Lise Davidsen“. Sie verriet, dass sie sich durch diesen Titel geehrt fühle. Sympathisch und bescheiden wirkte das. Und es gehört zur großen Kunst von Lise Davidsen.
Aktuelles Album: Lise Davidsen: „Beethoven - Wagner - Verdi“ (Decca, CD ca. 15 Euro)